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Glücklicher Bibi
Uri Avnery
27. September 2016
„GIB MIR
Generäle, die Glück haben!“, rief Napoleon einmal aus.
Das erinnert einen auch an Goethes Faust, der sich beklagte, dass „Wie sich
Geschick mit Glück verbinden, das fällt den Toren niemals ein...“
Glück kann ein großer Wohltäter sein. Er kann auch die Ursache von Katastrophen
sein. Ich erinnere mich anscheinend daran , dass einer/eine jener üblen
griechischen Götter oder Göttinnen ihre menschlichen Opfer zerstörten, indem sie
sie glücklich machten.
Glück geht zusammen mit Überheblichkeit. Und Hybris führt zu Nemesis.
MAN NEHME
nur als Beispiel Benjamin Netanjahu. Ein sehr glücklicher Politiker – wenigstens
bis jetzt.
Seine Vorgänger waren mit einer vereinigten Front der Staaten konfrontiert,
die entschlossen waren, Israel zu zerstören oder wenigstens dem
palästinensischen Volk zu helfen, die Freiheit und die Unabhängigkeit zu
erlangen.
1948 drangen alle Armeen der benachbarten arabischen Staaten in Palästina ein
und zwar einen Tag nach der Beendigung der britischen Herrschaft und der
Gründung des Staates Israel. 1967 versuchten diese Staaten es wieder – mit
katastrophalen Ergebnissen (für sie). 1973 griffen zwei von ihnen vom Süden und
vom Norden an und wurden nur nach schwerem Kampf zurückgeschlagen,
Es war immer ein Grundsatz, dass wenn sich die Möglichkeit ergab dann würden
all diese Armeen Israel wieder angreifen, um uns zu zwingen, uns von den
Gebieten, die wir 1967 besetzten , zurückzuziehen und den palästinensischen
Brüdern zu helfen, ihren eigenen Nationalstaat endlich zu errichten.
Und schauen wir uns um. Nicht die leiseste arabische Drohung gegenüber Israel
ist geblieben. Alle benachbarten Araber sind total damit beschäftigt, einander
zu töten.
Syrien, die Heimat des arabischen Nationalismus‘, war der entschlossensten Feind
Israels. Syriens Armee wurde als die wirksamste arabische Kraft angesehen. Was
ist davon übriggeblieben?
Neulich fragte mich ein verzweifelter Freund, ich solle erklären, wer gegen wen
in Syrien kämpft. Ich erwähnte Präsident Bashar al-Assads Armee, die
verschiedenen islamistischen Milizien, die gegen Assad und gegen einander
kämpfen, das islamische Kalifat (Daesh) das gegen all diese und gegen die
kurdischen Kräfte kämpft, während der Iran und die Hisbollah Assad gegen die USA
unterstützen, aber den USA gegen Daesh helfen, wahrend die Türkei Daesh
unterstuetzt, aber auch die USA hilft, die mit Russland gegen Daesh
kooperieren, das gegen die syrischen Kurden kämpft, die von den USA unterstützt
werden. Nach fünf Minuten gab mein Freund auf. „Das ist zu kompliziert für
mich“, sagte er.
Die ganze Zeit schauen die israelischen Generäle und Politiker zu, versuchen
ihre Freude zu verstecken und geben vor, erschrocken von all den
schrecklichen Bildern von Gräueltaten und Schrecken zu sein, die von Aleppo
heraus kommen. Es war einmal ein Zentrum der arabischen Kultur und des Handels
(und einer hochgeachteten alten jüdischen Gemeinschaft.)
Netanjahu hat absolut nichts getan, um diese Situation zu schaffen. Aber er ist
einer der Hauptnutznieser. Keine Drohung gegenüber Israel kommt seit langer,
langer Zeit aus Syrien, während wir die syrischen Golanhöhen absorbierten, die
wir nach 1967 eroberten und annektierten.
SAUDI ARABIA
betrachtet sich selbst als das Herz der islamischen Welt, seit es seine beiden
heiligen Stätten Mekka und Medina kontrolliert. Die Saudis finanzieren die
fanatischen sunnitischen Zellen in aller Welt, seine Imane gehören zu den
Extremisten, die für die Entfernung jener ungläubigen Abscheulichkeit, Israel,
aufrufen.
Aber jetzt ist Saudi Arabia voll mit dem Kampf gegen seinen Hauptkonkurrenten
in der islamischen Region beschäftigt – der Iran. Der brutale Krieg im Jemen ist
ein Teil davon. Es benötigt alle Verbündeten, die es bekommen kann. Und wer ist
da – wer hätte das gedacht – das vermaledeite, ungläubige Israel.
Die Saudi-Prinzen – es gibt buchstäblich Tausende – flirten jetzt fast offen
mit dem „jüdischen Staat“. Und wohin Saudi Arabis hingehen, dorthin gehen auch
all die anderen arabischen Golfstaaten – Kuweit, Bahrein, Qatar, Dubai und so
weiter. Alle von Geld aufgeblasen. Alle kooperieren jetzt im Geheimen mit
Israel.
Die Saudischen Imane haben schon beschlossen, dass die Juden eine kleinere
Gefahr für den Islam sind als die Schiiten, die ketzerischen Herrscher des
Iran. So ist es ganz annehmbar, mit Israel gegen den Iran zu kooperieren.
Was gut und fromm für Saudi-Arabien ist, ist sogar für Ägypten besser, dem
größten arabischen Staat und Volk. Wir haben mehrmals Kriege gegen Ägypten
geführt; ich war ein Soldat in dem ersten von ihnen und erinnere mich, einmal
allein ein großes Feld zu überqueren , das mit ägyptischen Leichen voll
bedeckt war.
Vor fast 30 Jahren unterzeichnete Israel einen Friedensvertrag mit Ägypten, aber
die Beziehungen sind kalt, fast frostig geblieben. Das ägyptische Volk hat ein
starkes Gefühl von Verantwortung gegenüber seinen armen Verwandten, den
Palästinensern. Sie mögen das nicht, was Israel ihnen antut.
Aber zwischen den beiden Regierungen ist jetzt das Eis geschmolzen. Es stimmt,
dass der ägyptische Judoka in Rio sich weigerte, dem israelischen Sieger die
Hand zu schütteln und der ägyptische Außenminister sagte nach seinem Besuch in
Israel einige dubiose Wörter. Aber hinter den Szenen sind die Beziehungen
zwischen den Regierungen eng und werden noch enger; bei einer gemeinsamen
Bemühung, um die Hamas im Gazastreifen mit all den andern Palästinensern, die
vom Iran unterstützt werden, zu stoppen.
Netanjahu hat absolut nichts getan, um all dies zu erreichen. Aber all dies
geschah während seiner endlosen Amtszeit. Glück, reines Glück-
AN DER
wirtschaftlichen Front ist Netanjahus Glück gleich günstig. Die israelischen
Produkte und Dienste verbreiten sich in Asien, und machen
die leichten Verluste in Europa wieder
gut. Der wirtschaftliche Einfluss von BDS wird kaum empfunden.
(Die extensive Kampagne der BDS würde viel erfolgreicher sein, wenn sie sich
auf den Boykott der Waren aus den Siedlungen konzentriert hätte. Die israelische
Friedensgruppe Gush Shalom, zu der ich gehöre, hat diesen Boykott vor fast 20
Jahren begonnen und zwar mit dem erklärten Ziel , zwischen den Bürgern des
eigentlichen Israel und den Siedlungen zu unterscheiden und die Siedler zu
isolieren. BDS hat die entgegengesetzte Wirkung, Netanjahu und die Rechte zu
stärken)
Israels wirtschaftliche Erfolge haben eine große Wirkung auf die Stimmung des
Landes. Die meisten Leute, die Netanjahus Politik kritisieren, leben ein
komfortables Leben. Komfortable Leute machen keine Revolutionen. Sie bringen
ihren Zorn in privaten Gesprächen bei Freunden oder in den sozialen Medien
unter. Ein paar schreiben Artikel in Haaretz. Gott sei Dank für Haaretz.
Sie steigen nicht auf die Barrikaden.
Gegenwärtig gibt es keine wirksame Opposition zu Netanjahu. Die Führer der
Arbeiterpartei, die Erben von Ben-Gurion und Rabin sind völlig bankrott ohne
Ersatz in Sichtweite. Meretz ist eine niedliche kleine Insel, zufrieden allein
gelassen zu sein. Die arabische Partei ist jenseits der politischen Grenzen,
sehr zur eigenen Zufriedenheit.
Wir haben viele Dutzend Friedens- und Menschenrechtsorganisationen, die
bewundernswerte Arbeit leisen, die Besatzung bekämpfen, den Palästinensern
helfen, die Demokratie auf vielerlei Weise verteidigen, zuweilen zu ihrem
eigenen Risiko. Fast jede Woche erscheint eine neue auf der Bühne, erhebt die
Flagge und ruft Anhänger auf, sich ihnen anzuschließen.
Israel kann auf diese jungen Idealisten stolz sein, aber sie haben keine
politischen Ambitionen und deshalb haben sie nicht den leisesten Einfluss auf
Israels Führung, die die Entscheidungen trifft.
Die Knesset ist jetzt in einem solch traurigen Zustand, dass ich sie persönlich
meide. Als ein früheres Mitglied werde ich zu all den zahlreichen festlichen
Sitzungen eingeladen. Ich nehme sie nicht an. Nicht einmal, um aus der Nähe
Dutzende von rechten, infantilen Politikern zu sehen, die ihre Zeit (und das
Geld der Steuerzahler) für lächerliche Gesetzvorschläge ausgeben, solche wie
„Die Flagge schützen“.. Dies verbietet dem volkstümlichen Präsident des
Staates, an jedem öffentlichen Ereignis teilzunehmen, an dem die israelische
Flagge nicht prominent zur Schau gestellt wird. Man wundert sich, ob
irgendeine ernsthafte Arbeit von dieser Knesset getan werden kann.
ALL DIES
hat viele gut gesinnte Israelis dahin gebracht, die Hoffnung aufzugeben, Israel
von innen her zu verändern und ihr Vertrauen auf„ausländischen Druck“ zu
setzten. Die Hoffnung ist , dass „die Welt“ – die USA, die UN, die EU oder jede
andere Zusammenstellung von Buchstaben – Israel zwingt, seinen Kurs zu
verändern.
Wie? Durch politische Verurteilungen, wirtschaftliche Sanktionen,
wissenschaftliche Boykotts und Ähnliches mehr.
Das ist natürlich eine geeignete Hoffnung. Es zwingt in Israel niemanden
irgendetwas zu tun.
Vor vielen Jahren war ich eingeladen, in Portugal an einem internationalen Forum
über Frieden in Nahost teilzunehmen. Ein anderer Eingeladener war der spanische
Staatsmann Miguel Moratinos. In meiner Rede beschuldigte ich die EU dafür, dass
sie uns in unserem Kampf um einen israelisch-palästinensischen Frieden im Stich
lässt, statt konsequent die israelische Regierung zu zwingen, den Kurs zu
verändern.
Statt der üblichen Apologie wandte sich Morantinos an mich und sagte etwas wie
„Was für eine Art von Frechheit ist das, Europa aufzufordern euren Job zu tun.
Es liegt an Israelis, ihre Regierung zu verändern. Geht nicht herum und
beklagt euch bei anderen über eure Regierung – geht und tut etwas .
Ich antwortete ärgerlich, aber in meinem Herzen wusste ich, dass er Recht hatte.
Warum sollte sich jemand darum kümmern? Warum sollte Barack Obama politisches
Kapital ausgeben um Israel vor sich selbst zu retten, wenn wir selbst es nicht
tun? Warum sollte Europa Sanktionen über Israel verhängen und des
Anti-Semitismus angeklagt werden, wenn es keinen in der Knesset gibt, der
wirklich eine aktive Opposition organisiert?
Gegenwärtig findet in den US eine lächerliche Wahlkampagne statt; beide
Kandidaten (einige nannten sie „der eine ist verrückt und der andere korrupt“)
wetteifern schmeichlerisch um die israelische Regierung, Donald Trump droht,
uns bald zu besuchen (Wenn ich ein Amerikaner wäre, würde ich mich schämen.
Ist dies wirklich das Beste, was eine Nation von 320 Millionen produzieren
kann?)
Aber so ist es. Eine Hoffnung auf „amerikanischen Druck“ oder auf ausländischen
Druck“ zu setzen ist lächerlich. Kein Ausländer schert sich einen Teufel um
Netanjahu, glücklich oder sonst. Sie sagen uns ganz einfach „Ihr habt ihn
gewählt, ihr müsst ihn absetzten."
Vladimir Putin, dieser letzte Zyniker, ist sogar bereit, einen Haufen
Komplimente auf Netanjahus Kopf zu
häufen, um seine westlichen Kollegen zu ärgern. Warum auch nicht? Er kann ganz
gut mit oder ohne Netanjahu auskommen. Nichevo. ( Macht nichts! --- russ.)
WIR SIND also bei Netanjahu stecken geblieben. Ein anderes altes griechisches
Sprichwort sagte, dass diejenigen, die die Götter zerstören wollen, die machen
sie zuerst verrückt.
Dies könnte auf die israelische Besatzung zutreffen. Wenn sich nicht eine neue
politische Kraft in Israel erhebt, um den Kurs trotz all des Glückes zu
verändern. Ich wünsche, ich wüsste, an welchen griechischen Gott ich mich
wenden soll.
(dt. E.Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)