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Die Bogie-Schreckensschau
Uri Avnery, 22.8. 08
MEIN
ERSTER Gedanke war: Mein Gott, dieser Mann war verantwortlich für das Leben
unserer Soldaten!
Der
zweite Gedanke war: Was ist schon so überraschend dran? Man wusste doch schon
immer, welche Art von Mensch er war! Während all seiner Jahre als
Armeestabschef unterstützte er überall in der Westbank still schweigend den Bau
der „illegalen“ Siedlungsaußenposten.
Der
dritte Gedanke: Und diese Person ist nun
Vizeministerpräsident und ein Mitglied der „Sechs“ - der sechs Minister, die
die wirkliche Regierung Israels bilden.
DER
GRUND für diese beängstigenden Gedanken war die Teilnahme von Moshe („Bogie“) Ya’alon an einer
Versammlung der „Jüdischen Führungsfraktion“ ( Jewish Leadership Faction). „Die
Frieden-jetzt-Bewegung ist ein ‚Virus’,“ sagte er dort. Und nicht nur sie. „Alle Medien“ seien auch Viren. Sie
beeinflussen den öffentlichen Diskurs „ in einer entstellenden Art und Weise,
in verlogener Art und Weise“. Der Virus schließt auch „die Elite“ im allgemeinen mit ein.
Außerdem
müssten „den Politikern“ Vorwürfe gemacht werden. „Jedes Mal, wenn die
Politiker die Friedenstaube hereinbringen, müssen wir, die Armee, nachher den
Dreck wieder wegmachen“.
Er
fasst zusammen: „Die Juden haben ein Recht, überall in Erez
Israel zu siedeln. Und wenn das die Amerikaner
aufregt, dann hat Ya’alon eine fertige
Antwort: „Ich habe keine Angst vor den Amerikanern!“
All
dies sagte Ya’alon, nachdem er ein paar Tage
vorher mit viel Publicity einen Besuch in den besetzten Gebieten gemacht
hatte, und zwar in Begleitung des Shas-Führers Eli Yishai und mehrerer anderer Minister der extremen Rechten.
Diese Gruppe besuchte die Siedlungsaußenposten, die die israelische Regierung
schon vor langer Zeit aufzulösen den Amerikanern versprochen hatte, und drückte ihre totale Opposition gegen ihre
Auflösung aus. Sie beendeten ihren Besuch in Homesch,
der von Ariel Sharon - im Laufe des
„Disengagement“- evakuierten
Westbanksiedlung. Ya’alon forderte, dass dieser Ort
wieder besiedelt werden sollte.
DIESE
TÖNE brauen sich zu einer beängstigenden
Melodie zusammen, in einer Melodie, die wir alle zu gut kennen. Es ist die
Hymne des Faschismus.
Erstens: der Terminus „Elite“. Im Jargon der israelischen Rechten
schließt es jeden ein, den sie hassen: die Intellektuellen, die Universitäten,
die liberalen Politiker, den Obersten Gerichtshof, die Medien.
Das
Wort „Elite“ kommt vom lateinischen Verb „eligere“,
herauspicken – nämlich das Beste, die Auserlesenen. Da dies etwas Undefiniertes
ist, kann der Ausdruck für Verschiedenes angewandt werden. Wenn Demagogen sich
an orientalische Juden wenden, dann besteht „die Elite“ klar aus den Aschkenazim,
die das Land regieren. Wenn man sich an die religiöse Gemeinschaft wendet, dann
besteht „die Elite“ aus den Säkularen, den Atheisten, denen, die sich von der
jüdischen Tradition gelöst haben. Wenn man sich an die russischen Immigranten
wendet, dann besteht „die Elite“ aus den alten, etablierten Israelis, den im
Lande Geborenen, die den Weg der neuen Immigranten blockieren.
Wenn
man dieses zusammenbündelt, dann taucht ein Bild von „ihnen“ und „uns“
auf. „Sie“, die Handvoll arroganter
Oldtimers, die die Schlüsselpositionen im Staat besetzen, und „wir“, die
einfachen Leute, die Patrioten, die an der Tradition festhalten, die
Diskriminierten, die Unterdrückten.
Jede
faschistische Gruppe in der Welt nährt solch eine Ansicht von „der Elite“.
Dass
Ya’alon, wie die meisten Demagogen selbst zur Elite
gehört, macht nichts. Er ist ein im Lande geborener Aschkenazi
ukrainischer Herkunft. Sein ursprünglicher Name ist Smilansky.
Er ist offizielles Mitglied eines Elite-Kibbutz
und gehört zum super-privilegierten hohen Offizierkorps.
Zweitens: die Verräter. Es
ist der Feind im Inneren. Er ist nicht weniger gefährlich als der äußere Feind,
ja viel gefährlicher. Wenn Ya’alon über „Frieden Jetzt“
spricht, meint er das ganze Friedenslager, den liberalen und säkularen Teil der
Gesellschaft. Es ist die fünfte Kolonne, das trojanische Pferd innerhalb der
Mauern. Dieser Feind muss eliminiert werden, bevor man anfängt, gegen die
Feinde von außen zu kämpfen.
Drittens: die „Politiker“.
Die Demagogen sind natürlich selbst Politiker, aber sie schließen sich hier
aus. Ya’alon malt ein Bild der „Politiker“, die eine
widerliche Friedenstaube auf die politische Bühne bringen, deren Exkremente die
Armee hinterher entfernen muss.
Die
schurkischen, gewieften, feigen Politiker auf der einen Seite und die saubere,
heroische, loyale Armee auf der anderen Seite – das ist ein wohlbekanntes Bild.
Das bekannteste Beispiel dafür gab es im Deutschland nach dem 1.Weltkrieg. Die
Legende vom „Dolchstoß in den Rücken“
war das Sprungbrett Adolf Hitlers zur Macht: Die deutsche Armee hielt gegen den Feind aus und hatte den Sieg schon in Reichweite, als „die Politiker“, die
Juden, die Sozialisten und die anderen „November-Verbrecher“ den Dolch in den
Rücken der heroischen Kämpfer stachen.
Die
Friedenstaube hinterließ etwas, und die Soldaten waren gezwungen, den
Friedensdreck zu entfernen.
Und „Alle Medien“. Das
ist eine der Erkennungsmerkmale des Faschismus in Israel und in aller Welt. Die
Medien sind immer „Linke“, sie sind die feindseligen Medien. Die Journalisten
und Rundfunkleute sind eine geheime Liga von Israel-Beschimpfern,
die Lügen verbreiten und die Wirklichkeit verzerren, um die nationale Moral zu
zersetzen, die Armee diffamieren, unsere nationalen Werte besudeln und dem
Feind dienen.
Die
Wirklichkeit sieht natürlich ganz, ganz anders aus. Die israelischen Medien
dienen sklavisch der offiziellen Propaganda in allen nationalen Angelegenheiten
und wenn es sich um Sicherheit handelt. Sie sind unverbesserliche Konformisten Es gibt keine einzige linke Zeitung im Land.
Die meisten politischen Korrespondenten wiederholen wie Papageien die
Statements aus „offiziellen Quellen“. Fast alle Korrespondenten für arabische
Angelegenheiten sind frühere Nachrichtendienstoffiziere und fast alle Militärkorrespondenten
dienen als inoffizielle Armeesprecher. In den Nachrichtenseiten und -programmen
herrscht die Terminologie des rechten Flügels vor. Aber weil bei weniger
wichtigen Angelegenheiten die Medien die Regierung kritisieren, wie sie es in
einer demokratischen Gesellschaft
verpflichtet sein sollten zu tun, ist es einfach, sie als „Linke“ und
Subversive zu bezeichnen. Dasselbe gilt auch für die akademische Welt.
Und
schließlich:
der „Virus“. Die Beschreibung von politischen Gegnern als infizierte
Agenten oder als ekelige Würmer ist eine der typischsten Merkmale der
extremen Rechten.
Es
genügt an „Der ewige Jude“, Josef Goebbels Film, zu erinnern, in dem die Juden
als Ratten gezeigt werden, die Krankheiten verbreiten.
Wenn
all diese Eigenschaften zusammentreffen
– der Hass gegen „die Elite“, die Glorifizierung der Armee, die Verachtung „der
Politiker“, die Dämonisierung des Friedenslagers, die Hetze gegen die Medien –
dann ist es das hässliche Gesicht des Faschismus, das auftaucht. Hier in Israel
und überall auf der Welt.
NICHT
WENIGER bedeutsam ist, wo Ya’alon sprach und
in wessen Gesllschaft.
Ya’alon sprach bei einer Versammlung der
„Jüdischen Führungsfraktion“. Dies ist eine Gruppe von ultra-ultra-Rechten, die
sich dem Likud mit dem erklärten Ziel
anschlossen, ihn von innen zu erobern. Sie wird von Moshe Feiglin
angeführt. Darum werden seine Anhänger
gewöhnlich „die Feiglins“ genannt.
Am
Vorabend der letzten Wahlen setzte Binyamin Netanyahu
alles dran – koschere und nicht-koschere
Mittel – um Feiglin
aus der Kandidatenliste des Likud zu streichen. Er war entschlossen, zu verhindern, dass der Likud als extrem rechte Partei dargestellt wird. Likuds Hauptkonkurrent, die Kadima-Partei,
die sich selbst als Mitte oder moderat-rechte Partei bezeichnet, bemühte sich
sehr darum, Netanyahu nach rechts zu drängen. Netanyahu dachte, wenn er die Feiglins heraustreibe, dann könne
er diesen Angriff abwehren .
Die
Frage bleibt, ob dies sein einziges Ziel war. Wenn ja, warum brachte er Benny Begin,
jemand, der die extreme Rechte personifiziert, auf einen auffallenden Platz der
Liste? Und warum wollte er Moshe Ya’alon gewinnen,
der schon als eine Person mit extrem rechten Ansichten bekannt war? Diese Umarmung war sehr kostspielig, da Kadima am Ende – entgegen alle Erwartungen -
einen Sitz mehr als der
Likud gewann?
Aber
Netanyahu, ein geborener Politiker, hatte
mehr als ein Ziel im Blick. Er fürchtete, dass Feiglin
eines Tages seine Likudführung gefährden könne. Um
diese Möglichkeit auszuschließen, verweigerte er Feiglin
einen Sitz in der Knesset.
Und
jetzt kommt Ya’alon, Netanyahus verhätschelter
Schützling, und schließt sich ausgerechnet Feiglin
an. Ein hebräisches Sprichwort heißt: Die Schwalbe besuchte die Krähe Aber es
ist hier nicht klar, wer die Schwalbe und wer die Krähe ist. Nützt Feiglin Ya’alon aus oder beabsichtigt Ya’alon,
Feiglin auszunützen, um sich selbst als Führer des
großen extrem rechten Lagers zu positionieren?
MAN
SOLLTE auch Ya’alons Erklärung beachten: „Ich fürchte
die Amerikaner nicht“.
Die Amerikaner verlangen einen Stop des
Siedlungsbaus? Zur Hölle mit ihnen! Was denken sie eigentlich, wer sie sind? Was, diese Goyim wollen uns
herumkommandieren? Barak Obama will uns sagen, wo wir
siedeln dürfen und wo nicht?
Dies
ist ein anderes Merkmal des in Erscheinung tretenden israelischen Faschismus:
die Bereitschaft, mit den USA in eine offene Konfrontation zu treten und
besonders mit Obama. Schon ist eine israelische
Kampagne gegen „Barack Sadam
Hussein“, den neuen Hitler, in vollem Schwung. Die amerikanische Rechte und die
israelische Rechte finden leicht eine gemeinsame Sprache. Eine israelische Frau
in den USA führt eine Öffentlichkeitskampagne an, die beweisen will, Präsident Obama sei gar nicht in den USA geboren, sein Vater nie ein
US-Bürger gewesen, und er solle deshalb aus dem Weißen Haus vertrieben werden
.
Die
ganze Sache grenzt an Wahnsinn. Israel ist
praktisch in allem von den USA abhängig: in wirtschaftlicher Hilfe, was
die Rüstung betrifft, in Zusammenarbeit
der Geheimdienste, in der diplomatischen
Belangen zum Beispiel durch das Veto im UN-Sicherheitsrat. Netanyahu versucht,
eine Konfrontation zu vermeiden, indem er jeden Trick von Täuschung und
Zerstreuung anwendet. Und jetzt kommt Ya’alon &
Co und rufen zu einer offenen Revolte gegen die USA auf.
Und
dieser Wahnsinn hat Methode. Das israelische Bildungssystem glorifiziert die
Zeloten, die vor etwa 1940 Jahren dem Römischen Imperium den Krieg erklärten.
Die Zeloten wurden die Führer der jüdischen Gemeinschaft in Palästina und
begannen eine Revolte, die keinerlei Chance auf einen Erfolg hatte. Die
Rebellen wurden besiegt. Jerusalem wurde zerstört, der Tempel brannte bis auf
die Grundmauern nieder.
DIE
BOGIE-Horrorshow hat größere Auswirkungen.
Sie
erzeugt das Bild einer verrückten Gruppe von Extremisten, die den
„moderaten“, Netanyahu, der die
Verantwortung trägt, herausfordern. Dieser signalisiert Obama
und seinen Leuten: Hilfe! Wenn ihr mich weiter unter Druck setzt mit dem
Einfrieren des Siedlungsbaus und dem Auflösen von Außenposten, wird es mein
Ende sein. Ich werde stürzen, und ihr werdet mit den Verrückten verhandeln
müssen!
Dies
wäre überzeugend, wenn Netanyahu sein legales Vorrecht ausgenützt und Ya’alon aus der Regierung entlassen hätte, auch wenn dies
ein politisches Risiko gewesen wäre. Stattdessen zitierte „Bibi“ „Bogie“ wie ein
Schulmeister zu sich, der einen Schüler zitiert und ihn hundertmal schreiben
lässt „Ich werde ein guter Junge sein“. Ya’alon
bleibt also Vizeministerpräsident, Minister für strategische Angelegenheiten
und einer der regierenden sechs Minister
(die anderen sind Avigdor Lieberman, Benny Begin, Eli
Yishai, Dan Meridor und
Netanyahu selbst.)
Da
dies so ist, muss Netanyahu für alles, was Ya’alon
tut und sagt, die Verantwortung übernehmen.
(Aus
dem Englischen, Ellen Rohlfs, Christoph Glanz,
vom Verfasser autorisiert)