Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Der Gang nach Canossa
Uri 
Avnery, 27.3.10
IM JANUAR 1077 ging König 
Heinrich IV. nach Canossa. Er überquerte barfuss die schnee- bedeckten Alpen, 
trug ein  härenes Mönchsgewand 
und erreichte die norditalienische Festung, in der der Stellvertreter 
Gottes  sich verschanzt hatte.
Papst Gregor VII. 
hatte ihn  nach einem 
Konflikt über die Einsetzungsrechte von Bischöfen im Deutschen Reich 
exkommuniziert. Die Exkommunikation gefährdete die Stellung des Königs, und er 
entschied, alles zu tun, damit sie aufgehoben wird. 
Der König wartete drei Tage 
lang vor den Toren Canossas, fastete und 
trug ein härenes Hemd, bis der Papst bereit war, das Tor öffnen zu 
lassen. Nachdem sich der König vor dem Papst 
hingekniet hatte, wurde der Bann aufgehoben, und der Konflikt wurde 
beendet – wenigstens für einige Zeit.
IN DIESER Woche ging 
Netanyahu nach Canossa in die USA, um zu verhindern, dass der Papst Obama I. 
über ihm einen Bann  
ausspreche. 
Im Gegensatz zum deutschen 
König ging Bibi I. nicht barfuß durch den Schnee, wechselte auch 
seinen teuren Anzug  nicht 
mit einem härenen Mönchsgewand und verzichtete nicht auf seine üppigen 
Mahlzeiten. Aber auch er war gezwungen, mehrere Tage lang vor den Toren des 
Weißen Hauses zu warten, bevor der „Papst“ sich herabließ, ihn zu empfangen.
Der deutsche König wusste, 
dass er den ganzen Preis als Entschuldigung zu zahlen hatte. Er kniete nieder. 
Der israelische König dachte, er würde billiger davon kommen. Wie er es gewohnt 
war, versuchte er es mit allen möglichen Tricks. Er kniete nicht nieder, sondern 
beugte sich ein wenig. Der Papst ist damit nicht zufrieden. 
Dieses Mal war dem Gang 
nach Canossa kein Erfolg beschieden. Im Gegenteil, 
er machte die Situation noch schlimmer. Das fatale Schwert der 
amerikanischen Exkommunikation schwebt 
weiter über Netanyahus Kopf. 
IN ISRAEL wird Binyamin 
Netanyahu als der Experte Nr. Eins – die USA betreffend – angesehen. Als Kind 
schon wurde er dorthin gebracht, besuchte 
dort das Gymnasium und die Universität und spricht fließend amerikanisch 
– wenn auch ein ziemlich dürftiges.
Aber dieses Mal hat er sich 
geirrt und zwar sehr.
Netanyahus Herz ist auf 
Seiten der amerikanischen Rechten. Seine engsten Freunde dort sind 
Neo-konservative, Republikaner vom rechten Flügel und evangelikale Prediger. 
anscheinend  hatten ihm diese 
versichert, Obama  werde die große 
Schlacht um die Gesundheitsreform verlieren 
und bald eine „lahme Ente“ sein, bis er unvermeidbar die nächsten 
Präsidentenwahlen verlieren würde. 
Das war ein Wettspiel, und 
Netanyahu verlor. 
Zu Beginn der Krise, bei 
der es um das Bauen in Ost-Jerusalem ging, 
war sich Netanyahu noch seiner selbst sicher. Obamas Leute tadelten ihn, 
aber  nicht ernsthaft. Es schien, 
dass der Konflikt  wie alle 
vorausgegangenen enden würde: Jerusalem würde ein Lippenbekenntnis abgeben. 
Washington würde vorgeben, die Spucke wäre 
Regen. 
Eine weniger arrogante 
Person würde zu sich gesagt haben: Übereilen wir die Dinge nicht. Warten wir zu 
Hause ab, wer die Schlacht um die Gesundheitsreform gewinnen wird. Dann werden 
wir noch einmal nachdenken und eine Entscheidung treffen. 
Aber Netanyahu wusste, 
ihm werde bei der AIPAC-Konferenz ein begeisterter Empfang sicher sein – 
und  Washington wird schließlich von 
AIPAC regiert. Ohne weiter nachzudenken, flog er dorthin, hielt eine Rede und 
erntete stürmischen Applaus. Vom Erfolg berauscht, wartete er auf das Treffen im 
Weißen Haus, wo  Obama ihn 
vermutlich vor Kameras umarmen würde.
Aber in der Zwischenzeit 
war etwas absolut  Schreckliches 
geschehen: das neue Gesundheitsgesetz war vom Kongress angenommen worden. Obama 
gewann einen Sieg, der „historisch“  
genannt wurde. Netanyahu stand nicht einem geschlagenen und belagerten Papst 
gegenüber, sondern einem Kirchenfürsten in all seiner Pracht. 
NACH EINEM israelischen 
Witz ist die kürzeste Zeiteinheit der Moment, wenn die Ampel auf Grün schaltet 
und der Fahrer hinter einem zu hupen anfängt. Mein verstorbener Freund General 
Matti Peled bestand darauf,  es gebe 
einen noch kürzeren Moment: die Zeit, die ein neu beförderter Offizier benötigt, 
um sich an seinen neuen Rang zu gewöhnen. Aber es scheint, als ob es einen noch 
kürzeren Augenblick gäbe.
George Mitchell, der hin- 
und herhüpfende Vermittler, überreichte Netanyahu Obamas Einladung ins Weiße 
Haus. Die Kameras zeigten alles: das breite Lächeln, die zum Hände-schütteln 
ausgestreckte Hand, die andere ausgestreckte Hand, um Netanyahus Arm zu halten. 
Und dann den Augenblick, von dem er glaubte, die Kameras hätten mit dem Bericht 
aufgehört, in dem das Lächeln in schwindelerregender Geschwindigkeit von seinem 
Gesicht wich – als ob eine Maske gefallen wäre, und ein saurer und zorniger 
Ausdruck erschien. 
Wenn Netanyahu diesen 
Moment erkannt hätte, dann wäre er von da an vorsichtig gewesen. Aber Vorsicht 
ist  keine seiner 
herausragenden Eigenschaften. Obama völlig ignorierend, erzählte er den 
Tausenden  jubelnder AIPAC-Leuten, 
dass er  in Ost-Jerusalem 
weiterbauen wird, dass es keinen Unterschied zwischen Jerusalem und Tel Aviv 
gebe, dass alle einander folgenden israelischen Regierungen dort gebaut hätten.
Das stimmt sogar. Der 
energischste Siedler in Ost-Jerusalem war der Bürgermeister der Laborpartei von 
West-Jerusalem in der Zeit der Annexion: Teddy Kollek. Aber Teddy war ein Genie. 
Es gelang ihm, der ganzen Welt etwas vorzugaukeln, 
er erschien wie ein glänzender Friedensaktivist, sammelte alle möglichen 
Friedenspreise ein (außer dem Friedensnobelpreis), und zwischen den Preisen 
errichtete er überall in Ost-Jerusalem riesige israelische Siedlungen . (Einmal 
sprach ich in Jerusalem mit Lord Caradon, dem Vater der UN-Sicherheitsresolution 
242 und einem nüchternen britischen Staatsmann, der gegenüber Israel sehr 
kritisch war. Nach unserm Gespräch traf er Teddy, der ihm einen ganzen Tag 
widmete und mit ihm durch ganz Jerusalem fuhr. Am Abend war der edle Lord ein 
ergebener Bewunderer von Teddy geworden.) Teddys Slogan war: Baue und rede nicht 
darüber. Baue und mach keinen Lärm!
Aber Netanyahu kann nicht 
schweigen. Von Sabras, den im Lande geborenen Israelis, wird gesagt, dass sie 
bei Frauen  schneller zur Sache 
kommen und schneller fertig sind, weil diese dann schnell zu den Jungen rennen 
müssen, um ihnen davon zu erzählen. Netanyahu ist ein Sabra.
Vielleicht 
würde Obama bereit gewesen sein, bei Jerusalem 
die Regel anzuwenden, die bei der US-Armee bei Schwulen angewendet wird: 
Frage nicht danach, rede nicht darüber. Aber für Netanyahu ist das Reden der 
wichtigste Teil, um so mehr, als alle 
vorausgegangenen Regierungen tatsächlich dort gebaut haben. 
NETAYHUS ANDERES Argument 
ist auch interessant. Er sagte, es gebe einen Konsens über die neuen jüdischen 
Stadtteile Ost-Jerusalems. Bill Clintons Friedensplan 
sah vor , dass das, „was in Jerusalem jüdisch ist, zu Israel gehören 
und was arabisch ist, zu Palästina gehören solle“. Da jeder damit 
einverstanden war, dass beim Endabkommen die jüdischen Stadtteile Israel 
angeschlossen werden sollen, warum sollte man dann dort nicht bauen?
Dies wirft ein Licht auf 
eine alte und vielfach getestete zionistische Methode. Wenn ein 
inoffizieller Konsens über die Teilung eines Stücks Boden zwischen Israel 
und Palästina erreicht wird, sagt die israelische Regierung: OK, 
jetzt, wo es ein Abkommen über den Boden gibt, den wir bekommen, lasst 
uns  über den Rest des Bodens 
reden. Was mein ist, ist mein - lasst uns jetzt 
über das verhandeln, was Euch gehört. Die bestehenden 
jüdischen Stadtteile sind schon unser. Dort können wir frei und ohne 
Einschränkungen bauen. Wir müssen jetzt nur noch über die arabischen Stadtteile 
entscheiden, wo wir auch bauen wollen. 
Tatsächlich sollten wir 
Netanyahu danken. Seit Jahrzehnten  
unterscheidet jeder zwischen Siedlungen auf der Westbank und den „jüdischen 
Stadtteilen“ in Ost-Jerusalem. Jetzt wird diese Unterscheidung nicht mehr 
gemacht, und jeder spricht über die Siedlungen in Ost-Jerusalem. 
NETANYAHU GING also nach 
Canossa. Er  betrat das Weiße Haus. 
Obama hörte seinen Vorschlägen zu und sagte ihm, 
sie seien nicht ausreichend.  
Netanyahu sprach  mit seinen 
Beratern in einem Nebenzimmer des Gebäudes und ging zu Obama zurück. Auch 
dieses Mal sagte Obama ihm,  
diese Vorschläge seien  ungenügend. 
So endete das Gespräch: kein Abkommen, kein gemeinsames Statement, keine Fotos. 
Das ist 
nicht nur eine „Krise“. Es hat eine 
viel größere Tragweite: es ist ein grundsätzlicher Wandel in der Politik 
der USA. Das amerikanische Schiff im Nahen Osten macht eine große Wende, und 
dazu ist viel Zeit nötig. Es gab inzwischen viele Enttäuschungen für 
Friedensliebende. Aber jetzt endlich geschieht es. 
Der Präsident der USA 
will den Konflikt beenden. Nicht am Ende aller Zeiten, nicht in der 
nächsten Generation, sondern jetzt – innerhalb der nächsten zwei Jahre. 
Der Wandel findet seinen 
Ausdruck in Ost-Jerusalem, weil es keinen Frieden geben kann, ohne dass 
Ost-Jerusalem die Hauptstadt Palästinas wird. Die israelische Bautätigkeit dort 
will genau dies verhindern. Deshalb ist dies der Test. 
Bis jetzt hat Netanyahu ein 
doppeltes Spiel gespielt.  In einem 
Moment neigte er sich der USA zu, im andern zu den Siedlern. Aluf Benn, 
der politische Redakteur von Haaretz bat ihn, zwischen Benny Begin und 
Uri Avnery zu wählen – wobei er meinte, er solle zwischen Groß-Israel und der 
Zweistaatenlösung wählen. 
Ich fühlte mich von solch 
einer Formel geschmeichelt – aber die politische Wahl ist jetzt zwischen 
Lieberman-Yishai und Zipi Livni. 
Netanyahu hat keine Chance, 
Obamas Exkommunikation  zu 
entkommen, solange er Geisel der gegenwärtigen Regierungskoalition ist. Es wird 
gesagt, dass eine schlaue Person weiß, wie man aus einer Falle herauskommt, in 
die eine kluge Person gar nicht erst hineinfällt. Wenn Netanyahu weise gewesen 
wäre, hätte er diese Koalition nicht aufgestellt. Nun werden wir sehen, ob er 
schlau ist. 
Kadima ist weit davon 
entfernt, eine Friedenspartei zu sein. Ihre Einstellung ist verschwommen. 
Während des ganzen Jahres in Opposition hat sie in keiner Weise sich selbst 
bewiesen und an keinem Kampf um Grundsätzliches teilgenommen. Aber die 
Öffentlichkeit betrachtet sie als moderate Partei, im Gegensatz zu Netanyahus 
offen extremistische  Partner. Nach 
den letzten Umfragen hat Kadima vor kurzem ihren kleinen Vorsprung gegenüber 
Likud noch etwas vergrößert.
Um in ernsthafte 
Verhandlungen mit den Palästinensern zu treten, wie von Obama verlangt wird, 
wird Netanyahu seine bestehende Koalition auflösen müssen und Livni einladen. 
Bis dies geschieht, wird er vor dem Tor Canossas stehen gelassen. 
Der Kampf zwischen dem 
König und dem Papst endete nicht mit der demütigenden Szene in Canossa. Er ging 
noch lange Zeit weiter. Die Schlacht zwischen Netanyahu und Obama wird schneller 
entschieden sein. 
(Aus dem Englischen: Ellen 
Rohlfs, vom Verfasser  autorisiert)
GUSH-SHALOM        
Inserat in Haaretz am   
26.März 2010
Obama, mazal 
tov!
Herzlichen Glückwunsch!
Gegen eine starke 
Opposition
Hast du den Weg
Für die Amerikaner 
bereitet,
Um medizinisch
Versorgt zu werden. 
Bitte
Heile uns jetzt
Von der bösartigen 
Besatzung!
In Israel
Werden dir viele
Dankbar sein!