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„Die 
Dunkelheit vertreiben“
Uri Avnery, 
25.12.2010
ES IST leicht, angesichts 
der schmutzigen Welle von Rassismus, die uns 
überschwemmt, zu verzweifeln.
Die Medizin gegen die 
Verzweiflung ist die wachsende Anzahl junger Leute, Söhne und Töchter der neuen 
israelischen Generation, die sich vereinigt, um sich dem Kampf gegen Rassismus 
und Besatzung zu engagieren.
IN DIESER Woche 
versammelten sich mehrere Hundert von ihnen in einer Halle in Tel Aviv ( die 
ironischerweise der Zionistischen Vereinigung von Amerika gehört), um ein Buch 
vorzustellen, das die Gruppe „Das Schweigen brechen“ veröffentlichte.
In der Halle waren auch ein 
paar Veteranen des Friedenslagers, aber die große Mehrheit der Anwesenden waren 
Jugendliche in den Zwanzigern, junge Männer und Frauen, die ihren Militärdienst 
abgeschlossen hatten.
„Die Besatzung der 
Gebiete“ ist ein Buch mit 344 Seiten, das aus fast 200 Zeugnissen von 
Soldaten über das tägliche und nächtliche Leben der Besatzung besteht. Die 
Soldaten lieferten die Augenzeugenberichte, und die Organisation, die aus 
Ex-Soldaten besteht, überprüfte, verglich und 
wählte aus. Am Ende wurden 183 von etwa 700 Zeugnissen für die 
Veröffentlichung ausgewählt. 
Nicht ein einziges dieser 
Zeugnisse wurde vom Armeesprecher abgestritten, der sich sonst beeilt, diesen 
ehrlichen Berichten  über das, was 
in den besetzten Gebieten geschieht, zu widersprechen. 
Da die Herausgeber des Buches selbst Soldaten waren, die an diesen Orten 
ihren Militärdienst machten, war es für sie leicht, zwischen Wahrheit und Lüge 
zu unterscheiden.
Das Buch ist sehr 
deprimierend – nicht weil es detailliert über schreckliche Grausamkeiten 
berichtet. Im Gegenteil, die Herausgeber bemühten sich, nicht Vorfälle von 
außergewöhnlicher Brutalität - von Sadisten begangen, die man in jeder 
israelischen Armeeeinheit und in den Armeen 
aller Welt findet -  mit 
hineinzunehmen. Sie wollten eher ein Licht auf die graue Routine der Besatzung 
werfen. 
Es gibt Berichte von 
nächtlichen Überfällen in ruhige palästinensische Dörfer als 
Übung – Einbruch in irgendwelche Häuser, in denen es keine „Verdächtige“ 
gibt, wo Kinder, Frauen und Männer terrorisiert, Chaos im Dorf angerichtet wird 
– und all dies nur, um die Soldaten zu „trainieren. 
Es gibt Geschichten über 
das Demütigen von Passanten an den Checkpoints ( „Mach den Checkpoint sauber, 
dann bekommst du deine Schlüssel wieder !“), 
gelegentliche Schikane ( „Er begann 
zu meckern, also schlug ich ihm mit dem Gewehrkolben ins Gesicht!“) . 
Jedes Zeugnis ist sorgfältig dokumentiert mit Zeit, Ort, Einheit.
Bei der Einführung des 
Buches wurden einige der Zeugenaussagen sogar im Film gezeigt mit den Zeugen, 
die es wagten, ihr Gesicht zu zeigen und ihre Identität mit vollem Namen 
preiszugeben. Sie waren keine  
ungewöhnlichen Leute, keine Fanatiker oder „blutende Herzen“. Keine Weichen aus 
der „Wir schießen und weinen“-Schule. Ganz gewöhnliche junge Leute, die Zeit 
hatten, sich mit ihren persönlichen Erfahrungen aus einander zu setzen.
Gelegentlich blitzt sogar 
Humor auf. Wie die Geschichte des Soldaten, der lange Zeit an einem Checkpoint 
zwischen zwei palästinensischen Dörfern stehen musste, ohne 
den Wert für die Sicherheit hier zu verstehen. Eines Tages erschien 
plötzlich von nirgendwo ein Bulldozer, ergriff die Betonblöcke und nahm sie weg 
–  wieder ohne jegliche Erklärung. 
„Sie haben meine Straßensperre geklaut!“ beklagte sich der Soldat, da er sich an 
den Platz gewöhnt hatte. 
Die Titel der Zeugnisse 
sprechen für sich selbst: „Um Schlaflosigkeit im Dorf zu schaffen“, „Wir 
pflegten Nachbarn zu schicken, um Explosivstoffe zu beseitigen “, „Der 
Bataillonskommandeur befahl, jeden zu erschießen, der versuchte, 
die Toten zu beseitigen“, „ Der Marinekommandeur der Flotte steckte 
die Mündung seines Gewehrs in den Mund des Mannes“, „Sie sagten uns, auf 
jeden zu schießen, der sich auf der Straße bewegt“, „Du kannst alles machen, was 
dir gefällt, keiner wird dich später etwas fragen“, „Du schießt aus Spaß auf das 
TV“. „Ich wusste nicht, dass es Straßen nur für Juden gibt“, 
„Eine Art totaler Willkürlichkeit“, „Die Jungs (der Hebron-Siedler) 
schlugen die alte Frau zusammen“, „Arrest der Siedler? Das kann die Armee nicht 
tun“. Und so weiter. Nur Routine.
Die Absicht des Buches ist 
nicht, Brutalitäten aufzudecken und die Soldaten als Monster zu zeigen. Es will 
eine Situation darstellen: die Herrschaft über ein anderes Volk mit all der 
überheblichen Willkür, die notwendigerweise damit verbunden ist, Demütigung der 
Besetzten, Degeneration des Besatzers. Nach den Herausgebern ist es für den 
einzelnen Soldaten ganz unmöglich, die Situation zu verbessern. Er wird 
zu einer Schraube in einer Maschine, die von Natur aus unmenschlich ist. 
GRUPPEN junger Leute, denen 
es einfach  zu übel wird, tauchen im 
Lande auf. Sie sind Zeichen eines Erwachens, das seinen Ausdruck im täglichen 
Kampf von Hunderten von Gruppen findet, die sich für verschiedene Dinge 
engagieren. Nur scheinbar verschieden – weil 
diese Dinge mit einander verbunden sind. Der Kampf gegen die Besatzung, 
für die Flüchtlinge, die Schutz suchen, gegen die Zerstörung der Beduinenhütten 
im Negev, gegen dir Invasion der Siedler in arabische Stadtteile Ostjerusalems, 
für gleiche Rechte der arabischen Bürger in Israel, gegen soziale 
Ungerechtigkeiten, für die Erhaltung der Umwelt, gegen die Korruption der 
Regierung, gegen religiösen Zwang etc. etc. 
Sie haben einen gemeinsamen Nenner: der Kampf für ein anderes Israel. 
Junge Freiwillige für jeden 
dieser Kämpfe – und für alle zusammen – sind heute nötiger denn je, angesichts 
des Rassismus, der in ganz Israel seinen hässlichen Kopf in die Höhe hebt – ein 
offener Rassismus, schamlos und  
tatsächlich stolz auf sich selbst.
Das Phänomen als solches 
ist nicht neu. Was neu ist, ist der Verlust jeder Spur von Scham. Die Rassisten 
schreien ihre Botschaft an jeder Straßenecke heraus und ernten Applaus von 
Politikern und Rabbinern.
Es begann mit der Flut 
rassistischer Gesetzesentwürfen, die dafür bestimmt waren, die arabischen Bürger 
zu delegitimieren und zu vertreiben. 
„Zulassungskomitees“, „Treueeid“ und vieles mehr. Dann kam das religiöse 
Edikt des Chefrabbiners von Safed,  
das Juden verbat, Arabern Wohnungen zu vermieten. Dies verursachte Entsetzen und 
Beschämung. Seitdem sind alle Dämme gebrochen. Eine Bande 14Jähriger überfiel 
Araber mitten in Jerusalem, benützte ein 14jähriges Mädchen als Köder und 
schlugen sie bewusstlos. Hunderte von Rabbinern im ganzen Lande verfassten 
zusammen ein Manifest, das verbietet, Wohnungen an „Ausländer“ ( gemeint sind 
Araber, die seit Jahrhunderten im Lande lebten) zu vermieten. In Bat Yam, das an 
Tel Aviv grenzt, rief eine stürmische Demonstration, 
alle Araber aus der Stadt zu vertreiben. Am nächsten Tag verlangte eine 
Demonstration in Tel Avivs ärmsten Viertel die Vertreibung der Flüchtlinge und 
Fremdarbeiter aus dem Stadtviertel.
Offensichtlich waren die 
Demonstrationen in Bat Yam und Tel Aviv verschiedenen Zielen gewidmet: die erste 
gegen die Araber, die zweite gegen Fremdarbeiter. Aber dieselben wohlbekannten 
faschistischen Aktivisten erschienen und sprachen bei beiden, sie trugen 
dieselben Poster und schrieen dieselben Slogans. Der auffälligste unter ihnen 
war die Behauptung, dass die Araber und die Ausländer jüdische Frauen gefährden 
– die Araber heiraten sie und nehmen sie mit in ihre Dörfer, die Fremdarbeiter 
flirten mit ihnen. „Jüdische Frauen für das jüdische Volk!“ schrieen die Poster 
– als ob die Frauen ein Besitz wären.
Die Verbindung zwischen 
Rassismus und Sex interessierte die Forscher schon immer. Die weißen Rassisten 
in den USA verbreiteten das Gerücht, dass die „Nigger“ einen 
dickeren Penis hätten. Unter den deutschen Nazizeitungen war die 
sensationellste „Der Stürmer“, ein pornographisches Blatt, das voll mit 
Geschichten über unschuldige blonde Mädchen waren, die von krummnasigen 
hässlichen Juden mit Geld verführt wurden. Sein Herausgeber Julius Streicher, 
wurde in Nürnberg gehängt. 
Einige glauben, eine der 
Wurzeln des Rassismus sei ein Gefühl von sexueller Unzulänglichkeit , der Mangel 
an Selbstvertrauen von Männern, die fürchten, sexuell impotent zu sein – das 
ganze Gegenteil des  
Macho-Rassisten. Es genügt, sich die rassistischen Demonstranten anzusehen, um 
die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.
JEAN-PAUL SARTRE sagte 
bekanntermaßen, dass jede Person ein Rassist sei – es gäbe nur den Unterschied 
zwischen denen, die es  zugeben und 
versuchen, dagegen anzukämpfen und jenen, die das nicht tun.
Das stimmt zweifellos. Ich 
habe einen einfachen Test für die Macht des Rassismus: man fährt mit dem Wagen 
und jemand schneidet einem den Weg ab. Wenn es ein schwarzer Fahrer ist, sagt 
man: „Verdammter Nigger!“ wenn es eine Frau ist, schreit man: „Geh in deine 
Küche!“ Wenn er eine Kipa trägt, schreit man: „Blöder Dos“ („Dos“ ist ein 
abfälliger hebräischer Spitzname für religiöse Juden). Wenn es ein Fahrer ohne 
besondere Kennzeichen ist, schreit man nur „Idiot! Wer gab dir eine 
Fahrerlaubnis?“
Der Fremdenhass, die 
Aversion gegen jeden, der anders ist , als man selbst, hat scheinbar biologische 
Züge, Überbleibsel aus Zeiten der Urmenschen, als jeder Fremde eine Bedrohung 
für die  begrenzten 
Ressourcen des Stammes war. Er besteht auch unter vielen anderen 
Tierarten. Es ist nichts, auf das man stolz sein kann. 
Der zivilisierte Mensch und 
mehr noch die zivilisierte menschliche Gesellschaft hat die Pflicht, diese Züge 
zu bekämpfen – nicht nur, weil sie in sich hässlich sind, sondern 
weil sie die Modernisierung der globalen Welt hindern, in der die 
Zusammenarbeit zwischen Menschen und zwischen Völkern 
zwingend ist.  Sie bringen 
uns zu den  Höhlenmenschen zurück.
Die Situation hier bewegt 
sich in die andere Richtung: das Land umarmt den rassistischen Dämon. Nach 
Jahrtausenden Opfer des Rassismus zu sein, sind 
Juden  hier anscheinend 
glücklich, nun anderen das anzutun, was ihnen angetan wurde.
ES IST unmöglich, die 
zentrale Rolle zu ignorieren, die Rabbiner bei diesem widerlichen Durcheinander 
spielen. Sie reiten oben auf der Welle und behaupten, 
dies  sei der Geist des 
Judentums. Sie zitieren die heiligen Texte in voller Länge.
Die Wahrheit ist, dass das 
Judentum, wie fast jede andere Religion, rassistische und antirassistische, 
humanistische und  barbarische 
Elemente  einschließt. Die 
Kreuzfahrer, die auf dem Weg ins Heilige Land die Juden im Rheinland 
schlachteten und die Bewohner Jerusalems mordeten – Muslime genau so wie 
Juden – als sie die Stadt eroberten, schrieen: „Gott will es!“ So kann man im 
Neuen Testament großartige Passagen finden, die Liebe predigen, und auch ganz 
andere Passagen. So sind auch im Koran Suren voller Liebe für die Menschheit 
und Aufrufe zu Gerechtigkeit und Gleichheit, aber es gibt 
auch ganz andere voller Intoleranz und Hass. 
So ist es auch mit der 
hebräischen Bibel. Die Rassisten zitieren Rabbi Maimonides, der 
zwei biblische Worte als ein Gebot interpretiert, Nichtjuden keine Wohn- 
und Lebensmöglichkeit im Lande zu geben. Das ganze Buch Josua ist ein Aufruf zum 
Genozid.  Die Bibel befiehlt den 
Israeliten, den ganzen Stamm  der 
Amalekiter umzubringen („Männer, Frauen, Kinder und Säuglinge“) und der Prophet 
Samuel entthronte König Saul, weil er das Leben von amalekitischen Gefangenen 
schonte (1. Sam.15). 
Aber die hebräische Bibel 
ist auch ein Buch von unvergleichlicher Menschlichkeit. Es fängt mit der 
Beschreibung der Erschaffung von Mann und Frau an, indem betont wird, dass alle 
Menschen nach dem Bilde Gottes geschaffen sind – und deshalb gleich. „Gott schuf 
den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn, Mann und 
Frau. Die Bibel verlangt viele Male, den 
„Gerim“ (den Fremden, der unter den Israeliten lebt ) als Israeliten zu 
behandeln, „Weil ihr Fremde im Lande Ägyptens ward.“
Wie Gershom Schocken, der 
Besitzer und lange Zeit Chefredakteur von Haaretz, 
in einem in dieser Woche - seinem 20. Todestag – 
wieder veröffentlichten Artikel hinwies: Esra hat tatsächlich die 
nicht-jüdischen Frauen aus der Gemeinde ausgeschlossen. Aber davor spielten 
fremde Frauen eine zentrale Rolle in der biblischen Geschichte. Bathseba 
war die Frau eines Hettiters, bevor sie König David heiratete und wurde die 
Mutter  des Hauses David, aus dem 
der Messias kommen wird ( oder von dem, nach christlichem Glauben, Jesus heute 
vor 2010 Jahren geboren wurde). David selbst war ein Nachfahre von Ruth, einer 
Moabiterin. König Ahab, der größte der israelitischen Könige, heiratete eine 
Phönizierin. 
Wenn unsere Rassisten das 
hässlichste Gesicht des Judentums  
darstellen und dabei dessen universale Botschaft ignorieren, schaden sie der 
Religion von Millionen von Juden in aller Welt. Die bedeutendsten jüdischen 
Rabbiner schwiegen in dieser Woche angesichts des rassistischen Feuers, das von 
Rabbinern angezündet  wurde, oder 
murmelten etwas über „Wege des Friedens“ – womit sie auf die Regel verwiesen, es 
sei verboten, die Goyim zu provozieren, weil sie die Juden in anderen Ländern so 
behandeln könnten, wie die Juden die Minderheit in ihrem eigenen Staat. Bis 
jetzt hat noch kein christlicher Priester seine Gemeinde aufgerufen, 
Juden keine Wohnung zu vermieten – aber es könnte geschehen. 
Das 
Schweigen der „Torah-Weisen“ ist 
donnernd. Noch mehr ist es das Schweigen der politischen Führer des 
Landes. Der Friedensnobelpreisträger Shimon Peres erhob seine Stimme nicht, um 
seinen Unmut auszudrücken, und Binyamin Netanyahu begnügte sich, die 
Rassisten aufzurufen, „ das Gesetz nicht 
in ihre eigenen Hände zu nehmen.“ Kein einziges Wort gegen den Rassismus, 
nicht ein einziges Wort über Moral und Gerechtigkeit. 
ALS ICH den Exsoldaten bei 
der Veranstaltung  „Das Schweigen 
brechen“ zuhörte, war ich voller Hoffnung. Diese Generation hat die Pflicht, den 
Staat zu heilen, in dem sie ihr Leben verbringen will. 
Wie es im Chanukkalied 
heißt, das schnell zur Hymne der Antirassisten-Demonstrationen wird: „Wir 
kommen,  um die Dunkelheit zu 
vertreiben.“
(Aus dem Englischen: Ellen 
Rohlfs, vom Verfasser  autorisiert)