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Uri Avnery, 14. Mai 2016
ALS DAVID BEN -GURION
Israels Unabhänigkeits-Erklärung (offiziell: Erklärung der Gründung
des Staates Israel) am 14. Mai 1948 vorlas, war ich im Kibbuz Hulda.
Meine Kompanie der (noch
unbenannten) Armee Israels hatte den Befehl, nachts
das arabische Dorf al-Kubab , nahe der Stadt Ramleh anzugreifen. Man
vermutete, dass es ein harter Kampf werden würde und ich war eifrig dabei, meine
Ausrüstung zu überprüfen und meine (tschechische) Waffe zu reinigen, als jemand
sagte, dass eine Rede von Ben-Gurion im Speisesaal-Radio des Kibbuz übertragen
wird.
Ich war wirklich nicht daran
interessiert. Wir waren alle davon überzeugt, dass was einige Politiker
plapperten ziemlich unwesentlich für unsre Zukunft war. Ob unser Staat überleben
würde oder nicht, würde auf dem Schlachtfeld entschieden. Die regulären Armeen
der benachbarten arabischen Staaten waren dabei, im Krieg einzugreifen, es würde
zu blutigen Schlachten führen und das Ergebnis würde über unser Leben
entscheiden. Buchstäblich.
Doch gab es ein Detail, das
unsere Neugierde weckte. Wie würde unser neuer Staat genannt werden? Einige
Gerüchte lagen in der Luft. Das wollten wir wissen.
Also begab ich mich in den
Speisesaal des Kibbuz – den wir Soldaten an gewöhnlichen Tagen nicht betreten
durften – und tatsächlich, war da die hohe Stimme von Ben-Gurion, der das
Dokument vorlas. Als er zu dem Abschnitt kam: „(wir) erklären hiermit die
Gründung eines Jüdischen Staates in Erez Israel, der als der Staat Israel
bekannt wird“ verließ ich den Saal.
Ich erinnere mich, dass ich
draußen den Bruder einer Freundin traf, der in dieser Nacht ein anderes Dorf
angreifen sollte. Wir wechselten ein paar Worte. Ich sah ihn nie wieder. Er
wurde getötet.
ALL DIES
ging mir durch den Kopf, als ich vor drei Tagen, am Vorabend
des Unabhängkeitstages eingeladen wurde, um an einer Feier in genau
dieser Halle, in der der
Original-Text von Ben Gurion vorgelesen werden sollte, teilzunehmen. Ich war
eine der Personen, die zum 68. Jahrestag dies nochmal vorlesen sollten.
Bei dieser Gelegenheit las
ich zum ersten Mal den ganzen Text der Erklärung. Ich war nicht beeindruckt.
Der Original-Text wurde
zuerst, von einigen Beamten entworfen, dann von Moshe Sharett (der an diesem Tag
Außenminister wurde) noch einmal geschrieben. Er war ein Verfechter der
hebräischen Sprache, so wurde der Text sprachlich ausgezeichnet. Ben Gurion war
mit dem Text nicht zufrieden, also nahm er ihn und schrieb ihn noch einmal
vollständig. Er trägt seinen persönlichen Stil. Er hatte auch die Chutzpeh,
seine Unterschrift über die aller Anderen zu setzen, die in alphabetischer
Reihenfolge folgten.
Die Autoren der Erklärung
hatten offensichtlich die amerikanische Unabhängigkeitserklärung gelesen, bevor
sie ihre eigene formulierten. Sie kopierten den allgemeinen Entwurf. Er ist
nicht im erbaulichen Stil eines historischen Dokumentes geschrieben, sondern als
Dokument mit einer Mission: die Nationen der Welt zu überzeugen, den Staat
anzuerkennen.
DIE EINFÜHRUNG
ist eine Wiederholung von zionistischen Slogans. Sie gibt vor, die historischen
Fakten darzulegen. Es sind sehr
dubiose Fakten.
Zum Beispiel, beginnt es mit
den Worten „Erez Israel war der Geburtsort des jüdischen Volkes. Hier wurde
seine geistige, religiöse und politische Identität gestaltet.“
Nun , nicht ganz. Mir wurde
in der Schule beigebracht, dass Gott Abraham das Land versprach, als er noch in
Mesopotamien lebte. Die Zehn Gebote wurden uns von Gott persönlich auf dem Berg
Sinai gegeben, der im Ausland liegt. der bedeutendere der beiden Talmuds wurde
in Babylon geschrieben. Es stimmt, dass die hebräische Bibel im Land verfasst
wurde, aber die meisten religiösen Texte des Judentums wurden im „Exil“
geschrieben.
„Die Juden trachteten in
jeder sukzessiven Generation, sich in ihrer alten Heimat
neu zu etablieren..“ Unsinn. Die meisten taten es nicht. Zum Beispiel,
als die Juden aus dem christlichen Spanien 1492 vertrieben wurden, gingen die
meisten von ihnen in die Länder der muslimischen Welt, nur ein paar siedelten in
Palästina.
Der Zionismus, die Bewegung,
die eine jüdische Nation in Palästina errichtete, wurde erst am Ende des 19.
Jahrhunderts gegründet, als der Antisemitismus eine mächtige politische Kraft in
ganz Europa wurde, und die Gründer das zukünftige Unheil voraussahen.
DIE ERKLÄRUNG
betonte natürlich die Geschichte aus letzter Zeit: „Am 29.November 1947
verabschiedete die UN-Vollversammlung eine Resolution, die die Errichtung eines
jüdischen Staates in Erez-Israel ausrief…“
Das ist eine
Verfälschung. Die UN-Resolution rief die Errichtung
von ZWEI Staaten aus: einen arabischen und einen jüdischen Staat (und
eine separate Zone von Jerusalem.) Die Errichtung des arabischen Staates wurde
vergessen und das verändert den ganzen Charakter der Resolution.
Das war natürlich
beabsichtigt. Ben Gurion war schon im geheimen Kontakt mit König Abdullah von
Jordanien, der die Westbank an sein transjordanisches Königreich annektieren
wollte. Ben Gurion erkannte dies an.
Ben Gurion sah es als ein
großes Ziel an, jede Spur eines separaten arabisch palästinensischen Staates zu
eliminieren. Deshalb wird diese Nation in der Erkärung nicht erwähnt. Die
Annektierung der Westbank durch
König Abdullah wurde stillschweigend anerkannt – sogar bevor der erste
jordanische Soldat das Land betrat, angeblich um die Araber vor dem jüdischen
Staat zu bewahren.
HIER IST
der Ort, um die zwei schicksalhaften Wörter
„Jüdischer Staat“ in Angriff zu nehmen.
Wenn wir
über unsern zukünftigen Staat vor der Gründung Israels sprachen, haben
fast alle von uns die Worte „Hebräischer Staat“ benützt. Das war es, was
wir bei unzähligen Demonstrationen riefen, das war es, was in den
Zeitungen geschrieben wurde und bei politischen Reden verlangt wurde.
Dies war keine ideologische
Entscheidung. Stimmt, da gab es eine winzige Gruppe von jungen Autoren und
Künstlern mit dem Spitznamen „Canaaniter“, die die Geburt einer neuen
„Hebräischen Nation“ verkündeten und nichts mit den Juden in der Diaspora zu tun
haben wollten. Einige andere Gruppen, einschließlich einer, die von mir
gegründet war, drückten ähnliche Ideen aus , aber ohne solch absurde
Schlussfolgerungen.
Bei umgangssprachlichen Reden
machten die Leute eine klare Unterscheidung zwischen „hebräisch“ (Dinge im Land
wie hebräische Landwirtschaft, hebräische Verteidigungskräfte etc.) und „jüdisch
“ (wie die jüdische Religion, jüdische Tradition und Ähnliches).
Also warum dann „Jüdischer
Staat“? Ganz einfach: die britische Verwaltung definierte die Bevölkerung von
Palästina als Juden und Araber. Der UN-Teilungsplan sprach von einem jüdischen
und einem arabischen Staat. Die Unabhängigkeitserklärung gab sich große Mühe, um
das zu betonen, dass wir nur die UN-Entscheidung erfüllten. „Deshalb erklärten
wir die Gründung eines jüdischen Staates, der als Staat Israel bekannt wird.“
(Hinweis: „ein“ jüdischer
Staat, nicht „der“ jüdische Staat)
Diese harmlosen Wörter sind
millionenfach zitiert worden, um die Behauptung, dass Israel ein „jüdischer“
Staat sei, in dem Juden Sonderrechte und Privilegien haben zu rechtfertigen.
Dies wird heute fraglos akzeptiert.
Doch wird gewöhnlich
übersehen, dass in einem der Paragraphen, in dem „wir die Hände zu allen
benachbarten Staaten ausstrecken“, wir sie bitten – im hebräischen Original - um
Zusammenarbeit mit „dem souveränen hebräischen Volk!". Dies ist flagrant in der
offiziellen Übersetzung im „souveränen jüdischen Volk“ verfälscht worden.
Man sollte Ben Gurion dankbar
für die Tatsache sein, dass Gott
überhaupt nicht in dem Dokument vorkommt. Nach einem mühsamen Kampf mit der
damals kleinen religiösen zionistischen Fraktion, wurde die einzige religiöse
Anspielung hinzugefügt. Sie erwähnt den „Fels von Israel“, eine Bezeichnung für
Gott, die aber auch anders verstanden werden kann.
EINE EKLATANTE
Weglassung ist die nackte Unterlassung, dass die Erklärung die Grenzen des neuen
Staates überhaupt nicht erwähnt.
Der UN-Erklärungsplan zog
sehr klare Grenzen. Im Lauf des 1948er-Krieges eroberte unsere Seite
beträchtlich mehr Land. Am Ende blieb die sog. grüne Linie.
Die Erklärung erwähnt keine
Grenzen und bis jetzt ist Israel der einzige Staat in der Welt, der keine
offiziellen Grenzen hat.
Hierbei, wie in allen anderen
Angelegenheiten hat Ben-Gurion den Kurs festgelegt, auf dem sich Israel noch
heute bewegt.
( dt. Ellen Rohlfs, vom
Verfasser autorisiert)