Israel-Palästina Nahost Konflikt Infos

Unsere gewalttätige Präsenz

 

Amira Hass, Haaretz, 3.1.08

 

Es gibt keinen Israeli, dessen Gegenwart in der Westbank neutral wäre. Ob Zivilisten oder Bewaffnete, Soldaten oder Siedlerinnen, Bewohner einer Siedlung mit hoher Wohnqualität oder einem nahen Außenposten, Machsom Watch-Aktivistinnen oder Gäste einer Siedlung, Bezek-Arbeiter oder der Kunde einer palästinensischen Autowerkstatt in der Westbank – weil  unser Staat  diese  seit 1967 besetzt hält.

 

Die Gegenwart eines jeden Israeli in der Westbank gründet sich auf ein Regime von Privilegien, das sich aus dem ersten Akt der Besatzung herleitet. Wir haben das Privileg, in den palästinensischen Gebieten nach Herzenslust zu wandern, subventionierte Häuser nur für Juden  auf Bethlehemer Land zu kaufen, Kirschen und Weintrauben in den Wadis von Hebron zu ziehen, die Steinbrüche an den Berghängen zu nützen, auf Straßen zu fahren, die auf enteignetem Land der einheimischen Bewohner für allgemeinen Gebrauch sind.

 

Den Palästinensern dagegen ist es im Gegensatz zu uns nicht erlaubt, von Hebron nach Tel Aviv zu fahren, weil sie z.B. das Meer lieben; es ist ihnen nicht erlaubt, das Land und Haus zu besuchen, das der Familie vor 1948 gehörte; es ist ihnen auch nicht erlaubt, durch Galiläa zu reisen, um ihre Verwandten dort zu besuchen. Die Herrschaft der Reisegenehmigungen, die seit 1991 besteht, beraubt alle Palästinenser ihres Rechtes der Freiheitsbewegung in Israel, während das System der Straßensperen ihre Bewegung innerhalb ihres eigenen Landes einschränkt.

Das Recht, im Land herumzureisen, ist eines der Grundmenschenrechte und wie jedes andere Recht, das nicht universal ist, ist es ein verstümmeltes Recht – es wird also zu einem Privileg. Das ist eine Tatsache, selbst wenn es die meisten Israelis ignorieren. Unsere Gegenwart in den palästinensischen Gebieten, die sich auf militärische und politische Überlegenheit gründet, ist deshalb ihrem Wesen nach  mit Gewalt und Arroganz verbunden, selbst wenn es sich auf angenehme Weise wie einem blühenden Garten in einer Siedlung äußert oder durch eine Wanderung vor dem Shabbat.

Wie gehen die Palästinenser mit dieser  (strukturellen) Gewalt und Arroganz um? Einige greifen zur  Waffe und hoffen, Israelis töten zu können. Die meisten jedoch wählen andere Wege, zivile und nicht militärische, um mit unserer nicht neutralen Präsenz, mit der täglichen Gewalt, die die Basis jedes besetzenden Regimes ist, fertig zu werden. Aber machen wir uns nichts vor; die meisten verstehen diejenigen, die zur Waffe greifen.

 

Wenn also der Ministerpräsident der Ramallah-Regierung sein Bedauern über den Mord an  zwei jungen bewaffneten Wanderern aus der Siedlung Kirjat Arba am letzten Freitag zum Ausdruck bringt, versuchte er, mit der Wut seiner Leute fertig zu werden. „Jeder Tod ist unnötig“, so wurde er in Haaretz zitiert. Dies sind weise und menschliche Worte. Wenn diejenigen, die sich über ihn ärgerten, genau hingehört hätten, dann hätten sie auch herausgehört, dass er den Israelis sagen will, dass auch der Tod eines jeden Palästinensers unnötig ist. Es liegt nicht in seiner Verantwortung, wenn der Ministerpräsident Ehud Olmert nicht sein Bedauern zum Ausdruck bringt, dass israelische Soldaten Khaldiya Hamdan, eine 51 jährige Frau nach der Rückkehr aus Mekka am Erez-Übergang getötet haben.

 

Aber Fayad beließ es nicht beim Ausdrücken seines Bedauerns. Nach der palästinensischen Tageszeitung Al Quds sagte er,“ die militärische Aktion ist auf palästinensischem Land geschehen“ also muss die Palästinensische Behörde „ihren Sicherheitsverpflichtungen nachkommen.“ Haaretz berichtet,  Fayyad habe gesagt, dass die Behörde schon Verdächtige festgenommen habe und mit den israelischen Sicherheitskräften zusammenarbeite. Nun behauptet der Shin Bet, dass die zwei in Haft befindlichen Personen, (die sich selbst angezeigt haben)  mit dem palästinensischen Sicherheitsdienst verbunden seien (was die Palästinenser aber leugnen).

Fayyad passte seine Antwort den israelischen und amerikanischen Erwartungen an die palästinensische Behörde an. Trotz der Tatsache, dass die IDF die alleinige Herrschaftsgewalt über die Westbank hat, wird von der Palästinensischen Behörde erwartet, dass sie die israelischen Bürger schützt, d.h. also als Sub-Unternehmer der IDF und des Shin Bet. Aber Fayyad kann diesen Erwartungen nicht nachkommen, weil sie völlig der Härte der allgemeinen Erfahrungen eines jeden Palästinensers widersprechen, die er angeblich vertritt --- das ist die Gewalt unserer Präsenz.

 

(dt. Ellen Rohlfs)