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Amira Hass berichtet aus dem Gazastreifen

 

Amira Hass, veröffentlicht in der „Internationale“, Italien, 11. November 2008

 

Am Telefon klang Mustafa so, als ob er grinsen würde. Ich hatte ihm gerade erzählt, dass in unserem Stadtteil der Strom gesperrt worden war und dass wir zu einem Ort gehen wollen, wo es einen Generator gibt, damit ich meinen Bericht wegsenden kann. Seit 5. November sind auf Befehl des israelischen Verteidigungsministers alle  Grenzübergänge zum Gazastreifen total gesperrt: keine Waren, keine Personen und kein Brennstoff werden hineingelassen. Das Kraftwerk in Gaza, dass etwa ein Drittel von Gazas Stromverbrauch produziert, hat keinen industriellen Kraftstoff mehr und musste schließen. „Du wolltest unbedingt nach Gaza kommen“ – meinte mein Freund grinsend – nun hast du es: Stromsperre, die 6, 8 Stunden, dauern kann, ohne dass man weiß, wann er wieder kommt und wann er aufhört und wiederkommt.“

Ja, ich wollte unbedingt. Seit zwei Jahren hat die israelische Armee und der Geheimdienst israelische Journalisten daran gehindert, den Gazastreifen zu betreten. Während dies bis Juni 2007 ernsthafte Sicherheitsgründe hatte, endete mit der Übernahme der Militärkontrolle durch die Hamas, das Kidnappen von Ausländern durch alle möglichen halb offizielle Gauner und Clan-Warlords. Die Schließung der israelischen Medien traf vor allem uns israelische Journalisten, die schon von Beruf Gegner der Besatzung sind – sie ist aber auch ein Teil der politischen, nicht nur der wirtschaftlichen Belagerung des Gazastreifens. Es ist aber auch Teil der Manipulation und Verdrehung von Informationen.

 

Vor zwei Wochen erfuhr ich, dass es  einem 2. Boot  - der israelischen Belagerung trotzend – gelang, sicher im Gazafischerhafen anzukommen. Als sich im August  2008 - durch eine zweijährige Initiative  die sich „ Befreit Gaza-Bewegung“ nennt -   das 1. Boot in Richtung Gaza in Bewegung setzte, glaubte keiner, dass ihm erlaubt werden würde, anzukommen. Aber es wurde ihm erlaubt. Dem israelischen Militär war offensichtlich klar geworden, dass eine zwangsweise Unterbrechung mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Die dritte Fahrt – so erfuhr ich - würde  mit einer Gruppe Parlamentariern am 7. November sein. Die meisten kamen aus Großbritannien und Irland, einer aus Italien – Fernando Rossi aus Ferrara. Bitte nehmt mich mit, bat ich. Es war zwar ein bisschen überfüllt –  22 Passagiere anstelle von 15, die das Boot tragen soll.

Das Boot fuhr von Larnaca, Zypern um 18 Uhr ab. Eine ruhige, glatte See und 15 Stunden trennten mich von meinem Ort, der für mich wie ein Zu Hause war, auch als ich nicht mehr dort lebte. Etwa um 7 Uhr 30 am nächsten Morgen, fragte ein israelischer Marineoffizier über Radio, woher wir kämen und nach den Namen der Passagiere und der Mannschaft.  Was die Namen der Passagiere betrifft, so wurde ihm mitgeteilt, so sollte er auf die Internet website schauen. Er könne dort auch eine Spende hinterlassen. Nach fünf Minuten hört man ihn wieder, er sagte: Habt einen schönen Tag!

 

Einige meiner Freunde warteten im Hafen auf mich. Abgesehen von den Fischern, die uns schon draußen auf dem Meer in ihren kleinen Booten stehend erwarteten, jubelten, winkten und klatschten, war das Willkommen ziemlich ernst und beherrscht – nicht zu vergleichen mit dem allgemeinen, chaotischen Willkommen wie beim 1. Boot. Uns wurde gesagt, dass sei der Wunsch  von Hamas. Der Platz war also mit nervös drein schauenden Sicherheitsleuten bevölkert, hohen palästinensischen Gesetzgebern ( alle Hamasmitglieder), viele Journalisten und ein paar der ursprünglichen Initiatoren der Kampagne – aus dem säkularen und linken Flügel in Gaza, die zur Seite gestoßen wurden. Alles sah sehr geordnet aus, meiner Meinung nach, fast zu geordnet.

 

Die säkularen Männer unter meinen Freunden wagten mich – vor den verwirrten ( vielleicht auch sich ekelnden) Sicherheitsleuten zu umarmen und mich auf die Stirn zu küssen. Einer der Hamas-Parlamentarier, den ich früher einmal interviewt hatte, begrüßte mich herzlich und sagte: „Wo sind Sie nur so lange geblieben?“ Ich antwortete: „Ich versuchte durch einen Tunnel zu kommen, aber das funktionierte nicht.“  Mit den Gazaern Spaß machen und scherzen – das funktioniert immer. So auch zwei Tage später mit einem anderen düster dreinschauenden, bärtigen Sicherheitsmann: Er wollte nicht, dass ich mich von der Gruppe entferne und für mich allein durch die Straßen gehe, die ich so gut kenne. „Was denkst du, was die Israelis behaupten, dass jeder Palästinenser gefährlich ist?“ fragte ich. Er lachte und  zeigte dabei zwei Grübchen und wie jung er noch ist und wie verletzlich. Von diesem Augenblick scheuchte er seine Kollegen weg, wenn sie wissen wollten, wer jetzt mit mir in der Lobby sprach oder wohin ich gehe und warum und wo ich bleibe.

 

Das Boot fuhr am Montag wieder zurück und nahm noch  acht Passagiere mit sich – von den vielen, die hier gestrandet waren und die den Gazastreifen nicht zu Studienzwecken oder zu medizinischer Behandlung verlassen konnten. Ich werde noch einige Wochen hier bleiben und meine Pflicht tun und nicht nur mein Recht als Journalistin wahrnehmen.

Heute, am Dienstag, wird mir von Sicherheitsleuten gesagt, dass auf Grund der gespannten Situation  (Der PLO und der Fatah ist es untersagt, ein Gedenken an Yasser Arafat abzuhalten, der vor vier Jahren starb). Ich müsste wo immer ich hingehe um meiner Sicherheit willen begleitet werden. Diese unmögliche Bitte (Forderung ?) wird mich in den nächsten Tagen noch beschäftigen.

 

(dt. Ellen Rohlfs)