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Wo auf der Welt gibt es so etwas wie 'nicht anerkannte Dörfer'?

von Viktoria Waltz
30.6.2007
Araber/Palästinenser im Staat Israel


Wenn wir über Palästina und die Probleme der Palästinenser hören, denken wir automatisch an die West Bank einschließlich Ost-Jerusalem und an den Gaza-Streifen. Die mehr als eine Million Palästinenser, die im Staat Israel wohnen, sind zumeist außerhalb unseres Blickfeldes und Bewusstseins. Liegt es daran, dass sie selbst einen so unsicheren Status haben in diesem Staat, der sich als ‚jüdisch’ definiert,  dass immer wieder von ihrem gewaltsamen ‚Transfer’ gesprochen wird‚ dass sie sich selbst nicht zu Wort melden und also auch nicht gehört werden? Israel nennt die Palästinenser in der Statistik 'Nicht-Juden', 'Araber', oder 'Muslime'. Dass sie nicht als Vollbürger des Staates gelten (eines Staates, der eine Demokratie sein will), trägt natürlich zu ihrer Verunsicherung bei.

Laut Israelischem Statistik Büro (ICBS) lebten im Jahr 2005 in Israel 5,16 Millionen Juden (mitgezählt wurden die über 400.000 Juden, die als Siedler in der West Bank und in Ost Jerusalem leben) und 1,85 Millionen Palästinenser, fast 23% der Bevölkerung. Die große Mehrheit der Israelischen Palästinenser lebt in 134 Dörfern und Kleinstädten. Das sind normal nach dem Planungsrecht registrierte Gemeinden mit Recht auf einen Bebauungsplan, Baugenehmigungen etc. Sie leben konzentriert in wenigen Regionen, aus denen sie zwischen 1947 und 1949 nicht vertrieben wurden. Diese Regionen sind Galiläa im Norden, mit Nazareth als der größten Stadt, sodann das sog. Dreieck in der Mitte Region mit Um El Fahem als Kleinstadt, und drittens im Süden der Negev, wo es sich vor allem um arabisch-palästinensische Beduinen handelt.

‚Nicht anerkannte Dörfer’

Der Staat Israel erlaubt sich, mehr als 100 palästinensische Wohnsiedlungen, in denen etwa 100.000 Palästinenser leben, als ‚nicht anerkannt’ zu bezeichnen und zu behandeln. Das hat fatale Konsequenzen für sie: Sie leben isoliert, sind nicht an die staatliche Versorgung mit Wasser und Elektrizität angebunden, haben keine Schulen und Krankenhäuser. Die Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen führt zu Kriminalität und Drogenmissbrauch etc..
Der Terminus ‚nicht anerkannt’ gehört zum israelischen Planungsvokabular und dient der ethnischen Beraubung, Verdrängung und Verelendung. Es handelt sich um palästinensische Gemeinden, die zwar vor 1948, vor der Staatsgründung, existierten, die aber niemals in die staatlichen Pläne integriert wurden. Die ‚Nichtanerkennung’ kam auf dreierlei Weisen zustande:
1.    Die Bewohner wurden von den zionistischen Milizen 'Palmach', 'Irgun' oder 'Haganah' zur Flucht in die Nachbarschaft gezwungen und an einer Rückkehr gehindert. Bei der Bevölkerungszählung im neuen Staat wurden sie als 'nicht anwesend' registriert und ein für Israel sehr praktisches „Gesetz“ über den 'Besitz Nicht-Anwesender' führte zur Konfiszierung ihres Landes und ihrer Besitztümer. (In Israel wird viel Wert darauf gelegt, dass alles den Anschein von Gesetzlichkeit hat.) In diese Besitztümer und in dieses Land zogen jüdische Immigranten ein. Die Behelfsdörfer dagegen, die sich die vertriebenen Palästinenser bauten, galten als ‚illegal’ und sind bis heute ‚nicht anerkannt’.
2.    Eine andere Variante der isaelischen Enteignung von palästinensischem Land und nachfolgender Vertreibung geht auf Britische und Osmanische Planungsgesetze zurück, die immer noch in Israel nach Belieben in Kraft sind. Danach fällt Land, das sein Besitzer und Nutzer drei Jahre lang nicht bebaut, an den Staat zurück - eine Bedingung, die sich leicht herstellen lässt, wenn man das Land aus Sicherheitsgründen absperrt ('Defence or Emergency Regulation' von 1945). So einfach ist das.
3.    Das Land und die Region werden als Land für reine Landwirtschaft festgelegt. Es darf nicht als Bauland verwendet werden und darauf stehende Bauten gelten als illegal. (vgl. Land Law of 1950, Absentee Land Law of 1951 und andere, vgl. Grannot 1956, Jiryis 1973, Waltz/Zschiesche 1986:132-137).

Wie die Beduinen ins Elend getrieben werden

Besonders betroffen sind seit der Gründung Israels die Beduinen Palästinas.
Vor 1948 bildeten sie die originäre Bevölkerung des Negev. Etwa 80 - 90.000 Menschen lebten und weideten in einem Gebiet, das sich über 10 - 12.000 km² erstreckte und ihr Land war. Nach 1948 gab es nur noch 13 - 15.000 Beduinen dort, die übrigen waren vertrieben und leben seitdem verstreut in den Nachbarländern, auch im Gazastreifen. Mehr als 98% ihres Landes wurden enteignet und in staatliches Eigentum überführt. Dazu kam die Zwangsumsiedlung in sieben neue städtische Gemeinden, eine Politik, die seit 1950 bis heute weitergeführt wird.
Heute gibt es dort 145 00 Beduinen (ICBS 2004), d.h. 25% der Bewohner der Südregion leben nur noch auf 1,3% ihres ehemals von ihnen besessenen und beweideten Landes. Die eine Hälfte lebt in den neuen städtischen Zentren, die andere in 45 'nicht anerkannten Dörfern' - ohne Wasser, Elektrizität, Abwasser- oder Müllentsorgung -, obwohl auch diese Dörfer bereits vor 1948 existierten. Ihre Behausungen sind aus leichtem Material errichtet, aus Zelten, Metallwänden, Zementblocks und ähnlichem. Sie gelten als illegal und sind vom Abriss bedroht. Zur Zeit stehen allein im Negev 22.000 Häuser von Beduinen unter Abrissdrohung. Die ‚Gruppe der 40’ (Association of Fourty 2002), eine Initiative dieser 'nicht Anerkannten', berichtet, dass 1998 370 Häuser zerstört worden sind und noch 1.700 Fälle vor Gericht stehen. In sechs  der sieben Städte rangieren die Bewohner unter der Gruppe der ärmsten und sozial schwächsten Israels. Nach einer Untersuchung der Ben-Gurion Universität leiden 71% der Beduinen des Negev unter Hunger (Ittihad Zeitung, Ausgabe Dezember, 2002).

Die beduinische ‚Gruppe der 40’ fordert die Anerkennung der betroffenen Dörfer hinsichtlich Planungsrecht, Bebauungsplänen, Versorgung mit Infrastruktur, Schulen und Gesundheitseinrichtungen und die Beendigung des wesensfremden 'Urbanisierungszwangs'. Im Gegensatz dazu sieht aber der sog. 'Six Year Sharon Plan' vor, alle Beduinen in die sieben bestehende und sieben neue Beduinenstädte zu zwingen. Damit wäre ihr Schicksal endgültig besiegelt, sie wären von ihrem Land komplett abgeschnitten, ihrer ökonomische Basis beraubt und von ihrer traditionellen Lebensführung vollständig abgeschnitten.

 

Viktoria Waltz lehrt an der Fakultät Raumplanung der Universität Dortmund und betreut seit 2001 die Partnerschaft ihrer Fakultät mit der Faculty of Engineering der Universität Birzeit.