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Das Miezekätzchen

 

Uri Avnery, 31.3.07

 

KANN SICH eine Leopardin in eine Hauskatze verwandeln? Ein Zoologe würde sagen „unmöglich“. Aber in der letzten Woche sahen wir mit eigenen Augen, dass dies möglich ist.

 

Condoleeza Rice kam hierher, um Ehud Olmert ein für alle Mal beizubringen, wer der Boss ist. Der Präsident der Vereinigten Staaten  will im Nahen Osten Ordnung schaffen und die Regierung Israels hat sich dem unter zu ordnen. Sonst …

 

Zwei Tage später war von der Drohung nichts mehr zu hören. Olmert weigerte sich wieder. Und was geschah nun? Es geschah nichts. Die  Furcht erregende Leopardin schlich mit eingezogenem Schwanz nach Hause.

 

Muammar Gaddafi, eine seltsame Kreuzung von Diktator und Komödiant, machte der „dunkelhäutigen afrikanischen Dame“ Komplimente und offenbarte, dass er sie möge. Sie bräuchte nur mit dem kleinen Finger winken und alle Sicherheitschefs in der arabischen Welt, die die eigentlichen Herrscher ihrer Länder seien, kämen angelaufen. Aber selbst Gaddafi hat nicht behauptet, dass sie Israel in die Flucht geschlagen hätte.

 

 

JULIUS CAESAR  berichtete bekanntlich dem Römischen Senat mit den Worten :“Ich kam, ich sah, ich siegte“. Condoleezza konnte dem US-Senat berichten: „Ich kam, ich sah, ich kapitulierte.“ Vor wem wohl? Vor einem  gescheiterten israelischen Ministerpräsidenten, dessen Popularität sich dem Nullpunkt nähert und von dem niemand mehr erwartet, dass er das Ende des Jahres als Ministerpräsident erlebt.

 

Bei der fortdauernden Debatte, wer mit wem wedelt – der Hund mit seinem Schwanz oder der Schwanz mit seinem Hund – haben diesmal die Befürworter der zweiten Version gesiegt. In der eben beendeten Runde hat Israel gegen die USA gewonnen. 

 

Diese Runde begann, als Präsident Bush sich entschloss, die Decks für seine Aktion zu säubern . Das sieht folgendermaßen aus: Die US bereiten sich für einen Krieg gegen den Iran vor. Zu diesem Zweck, müssen sie das Chaos im Irak beenden, die pro-amerikanischen arabischen Regierungen  einigen und für das palästinensische Problem eine Lösung finden.

 

Am Anfang funktionierte alles ganz gut. Alle Führer der arabischen Länder - außer Gaddafi, dem unvermeidlich Abwesenden - versammelten sich zu einem Gipfeltreffen in Riad. Der König von Saudi-Arabien hatte sich mit Bashar al-Assad versöhnt. Mahmoud Abbas brachte den Hamasführer Ismail Hanijeh mit. Der Präsident Emil Lahoud aus dem Libanon, der Protégée Syriens und der Hisbollah, nahm seinen Platz am runden Tisch ein.

 

Die vereinigte arabische Welt hauchte dem Friedensplan König Abdullahs neues Leben ein;  dieser sichert  Israel die Anerkennung, Frieden und  die Normalisierung mit der ganzen arabischen Welt zu, wenn  es sich dafür auf die Grenzen vom 4. Juni 1967 zurückzieht. Dieser Plan bekennt sich zwar zu einer „gerechten Lösung“ für das Flüchtlingsproblem  (und wie  hätte das auch vermieden werden können), stellt aber eindeutig fest, dass jede Lösung von einem israelischen Übereinkommen abhänge.

 

Wenn die arabische Welt uns dieses Angebot am 4. Juni 1967 gemacht hätte, wir hätten unsere Augen zum Himmel erhoben, Kerzen angezündet und den alten jüdischen Segen gesprochen: „Gepriesen seist du, Herr unser Gott, König der Welt, der uns am Leben erhalten und getragen und uns diesen Tag hat erleben lassen.“

 

Aber in dieser Woche hat keiner Kerzen angezündet und  keiner den „Herrscher der Welten“ für das arabische Friedensangebot gepriesen. Im Gegenteil. Olmert und Co zerbrachen sich die Köpfe, um einen Weg aus der Falle zu finden. Da sie keinen überzeugenderen Grund fanden, argumentierten sie, dass es unmöglich sei, ein Angebot anzunehmen, das die UN-Resolution über die Flüchtlinge erwähnt. Die meisten Medien – von Olmerts Sprecher instruiert – sagten nichts von der ausdrücklichen  Bedingung, dass die Lösung von Israels Einverständnis abhängt.

 

Kurz gesagt: Njet! (nein)

 

 

DAS WAR das Signal für die riesige amerikanische Dampfwalze, in Gang zu kommen.   Denn schließlich stehen  lebenswichtige amerikanische Interessen auf dem Spiel.

 

All die arabischen Herrscher, die von den US abhängen, schreien laut, dass sie der USA nicht  versprechen können, sie – wie gefordert – zu unterstützen, solange der Eiter aus dem  palästinensischen Besatzungstumor fließt. Wie können der König von Saudi Arabien und der Präsident von Ägypten ihre Massen für einen Krieg gegen den Iran gewinnen, wenn sie und ihre Untertanen bei Aljazeera morgens, mittags und abends den schrecklichen Bildern vom israelischen Armee-Kampfhund ausgesetzt sind,  der seine Zähne in das Fleisch einer alten palästinensischen Frau versenkt und nicht mehr loslässt?

 

Condoleezza arrangierte mit Olmert ein Show-down  und war bereit, ein Ultimatum zu stellen. Aber anscheinend kamen im letzten Augenblick neue Instruktionen aus dem Weißen Haus: Lass es und komm nach Haus!

 

Es sieht so aus, als ob Präsident Bush sogar noch schwächer  als Olmert ist. In beiden Häusern des Kongresses hat er wegen des Irakkrieges eine  schmerzhafte Niederlage erlitten. Die amerikanische Öffentlichkeit hat keine Lust auf einen weiteren Krieg, dieses Mal gegen ein Land, das in sich geeinter und entschlossener ist als der Irak. In solch einer politischen Situation wäre es das Letzte, was er brauchen kann: eine Kopf-gegen-die-Wand-Kollision mit der pro-israelischen Lobby und ihrem jüdischen und christlichen Flügel.

 

Die beiden Professoren, Stephen Wall und John Mearsheimer haben diese Runde gewonnen. Bei dieser Auseinandersetzung zwischen nationalen Interessen der USA und der Regierung Israels und seiner Fans in Amerika hat die israelische Seite gewonnen.

 

Die Dampfwalze rollte nicht. Condoleezza ging zu Olmert und saß drei Stunden mit ihm zusammen. Ihr Schluss-Statement klang eher wie das Schnurren einer Hauskatze als das Fauchen einer Raubkatze.

 

 

UND DIE israelische Öffentlichkeit? Diese Gesellschaft, die  sehen muss, wie eine weitere  historische  günstige Gelegenheit vorüberzieht  und ignoriert wird?

 

Zweifellos hätte die große Mehrheit Olmert unterstützt, wenn er die Annahme des arabischen Angebotes  angekündigt hätte. Aber nur eine kleine Minderheit war bereit, gegen Olmert zu rebellieren,  als er das Gegenteil tat.

 

Die schweigende Mehrheit schließt die Opfer des nächsten Krieges, ihre Eltern und Kinder mit ein. Ist es möglich, dass es sie einfach nicht kümmert? Dass ihnen dies keine Sorgen bereitet?

 

Die Öffentlichkeit hat sich nicht aufgeregt, nicht beklagt, sie erhebt ihre Stimme nicht und  demonstriert nicht.

 

In dieser Woche rief die Peace Now- Bewegung zu einer Demonstration auf, um zu verlangen,  Olmert möge auf die Initiative des arabischen Gipfel positiv reagieren. Dieses Ereignis fand in der Nähe der Residenz  des Ministerpräsidenten  in Jerusalem statt. Die Organisatoren brachten die Fahnen aller arabischer Staaten mit, einschließlich der palästinensischen. Es war ein erfreulicher Anblick vor allem für die, die sich erinnern, wie vor 20 Jahren ein Aktivist von einer Peace Now-Demo vertrieben wurde, weil er eine kleine palästinensische Flagge bei sich hatte.

 

Wie viele kamen? Eine Bewegung, die einmal 400 000 Demonstranten nach dem Sabra- und Shatila-Massaker auf die Beine brachte, brachte diesmal – gewiss, es war ein Arbeitstag -  nur 250 Leute zusammen. Weder Haaretz oder eine andere Zeitung erwähnten die farbenprächtige Demonstration mit einem einzigen Wort, kein TV-Kanal zeigte ein einziges Bild – außer Aljazeera.

 

Welches sind die Ursachen dieser Gleichgültigkeit? Fatalismus? Müdigkeit? Frühere Enttäuschungen? Misstrauen gegenüber der Regierung und/oder gegenüber den Arabern?

 

Zweifellos ist  etwas Dramatisches nötig, um die Gesellschaft  aufzurütteln. Ein Kommentator schlug vor, dass der saudische König dem Beispiel Anwar Sadats folgen und  nach Jerusalem kommen solle, um in der Knesset zu sprechen und sich so direkt an das ganze Volk zu wenden. Aber Sadat machte seinen historischen Besuch erst, nachdem Moshe Dayan  bei Geheimtreffen in Marokko versprochen hatte, dass Menachem Begin bereit wäre, die ganze Sinai-Halbinsel zurückzugeben. Olmert hat gar nichts versprochen.

 

 

ANTWORTETE Olmert?  Aber sicher. Schließlich war es unmöglich, diese Offerte komplett zu ignorieren.

 

Er erklärte, er sei bereit, sich mit dem saudischen König zu treffen. Naive Leute könnten davon positiv beeindruckt sein. Der Ministerpräsident Israels ist bereit, sich mit Führern arabischer Staaten zu treffen. Gut. Sehr gut – wirklich.

 

Tatsächlich ist das eine alter Trick israelischer Regierungen – seit  den Zeiten David Ben Gurions. Ein Treffen mit dem Staatsoberhaupt  eines der bedeutendsten arabischen Staaten könnte als Normalisierung gedeutet werden – und Normalisierung ist die Hauptforderung Israels. Das heißt: Israel würde sein Hauptziel  erreichen, ohne dass es etwas dafür gibt. Kein arabisches Staatsoberhaupt wird natürlich in diese Falle tappen.

 

Kurz danach verkündete Olmert, dass kein einziger Siedlungsaußenposten abgebaut werden wird, bis die Palästinenser nicht „den Terrorismus bekämpfen“.

Auch dies hat einen historischen Hintergrund: als Präsident Bush der Anerkennung der israelischen „Bevölkerungszentren“ zustimmte – die großen  jenseits der Grünen Linie aufgebauten Siedlungen, die internationales Recht und die vorherigen amerikanischen Forderungen verletzen – versprach Ariel Sharon, all die Siedlungen, die nach seiner Amtseinführung 2001 errichtet wurden, aufzulösen. Sogar nach israelischem Gesetz sind diese Siedlungen („Außenposten“) illegal.

 

Dieses Unterfangen ist auch in der armseligen, alten Road Map  enthalten. Nach ihr wäre Israel gezwungen, in der ersten Phase diese Siedlungen abzubauen – gleichzeitig sollten die Palästinenser ihre Organisationen entwaffnen.

 

Amir Peretz, der als Verteidigungsminister für diesen Sektor zuständig ist, erklärte immer wieder, dass er  - jede Minute – die Außenposten auflösen wird. Faktisch wurde noch keine einzige abgebaut. Jetzt erklärt Olmert, dass zuerst die Palästinenser den Terrorismus bekämpfen müssten. Erst dann würde die Regierung entscheiden, was man mit den Siedlungen tun wird.

 

Mit andern Worten: kein Außenposten wird aufgelöst __.

 

Auf diese Weise wird sich das „Fenster der günstigen Gelegenheit“  schließen. (Um an dieser Stelle  einen ziemlich dummen amerikanischen Ausdruck zu verwenden. Schließlich ist ein Fenster dazu da, dass man sehen kann, was draußen geschieht und nicht,  um nach draußen zu gehen und etwas zu tun. Dafür gibt es ja Türen).

 

 

AM VORABEND des Passahfestes gab Olmert seine Gedanken in allen Medien zum besten .

 

Israels größte Tageszeitung setzte eine sensationelle Schlagzeile auf ihre Titelseite: „Olmert: Innerhalb der nächsten fünf Jahre können wir Frieden erreichen!“

 

Was? In fünf Jahren? 1993 wurde das Oslo-Abkommen unterzeichnet. Darin war vorgesehen, dass es innerhalb von fünf Jahren ein endgültiges Friedensabkommen zwischen Israel und dem  palästinensischen Volk geben wird. Seitdem sind 13 Jahre vergangen – und die Verhandlungen  darüber haben noch nicht einmal begonnen.

 

Es scheint, dass diese „fünf Jahre“  zur selben Welt der Illusionen  gehören wie Condoleezzas „politischer Horizont“: je mehr man auf ihn zugeht – um so weiter entfernt er sich.

 

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs uns Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)