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Das schmutzige Wort

 

Uri Avnery, 30.6.07

 

KEIN  Nahost-Gipfeltreffen  war je so düster wie dieses. 

 

Die vier Führer in Sharm El-Sheik saßen nicht  in vertrauter Runde an einem Tisch zusammen. Jeder saß allein hinter seinem eigenen großen Tisch. Dies sicherte einen auffallenden Abstand zwischen ihnen. Die vier langen Tische berührten einander kaum. Jeder der Führer - mit seinen Beratern hinter sich versammelt - saß wie eine einsame Insel im weiten Meer.

 

Alle vier – Husni Mubarak, König Abdullah von Jordanien, Ehud Olmert und Mahmoud Abbas -  hatten einen ernsten Gesichtsausdruck. Während des offiziellen Teils der Konferenz konnte nicht ein einziges Lächeln wahrgenommen werden.

 

Einer nach dem anderen  hielt seinen Monolog, eine Übung in  oberflächlicher  Heuchelei, in inhaltsleerer Täuschung. Keiner der vier erhob sich über  die Pfütze scheinheiliger Phrasen.

 

Ein kurzer Monolog von Mubarak. Ein kurzer Monolog von Abdallah. Ein etwas längerer Monolog von Abbas. Ein endlos langer Monolog von Olmert – eine typisch israelische Rede, arrogant, die ganze Welt belehrend, wie eine vor Moral strotzende Predigt. Sie wurde natürlich auf Hebräisch gehalten, weil sie  offensichtlich  an das Publikum zu Hause  gerichtet war.

 

Die Rede enthielt alle erforderlichen Phrasen:  Unsere Seele sehnt sich nach Frieden. Die Vision von zwei Staaten. Wir wollen nicht über ein anderes Volk herrschen. Für das Wohl der nächsten Generation… Bla-bla bla. Alles im üblichen Kolonialstil: Olmert sprach über „Judäa und Samaria“ –  und verwendete somit die offizielle Terminologie der Besatzung.

 

Aber um Abbas zu „stärken“ , sprach Olmert ihn mit „Präsident“ an und nicht mit „Vorsitzender“, dem obligatorischen Titel , der von allen israelischen Vertretern seit der Einsetzung der Palästinensischen Behörde verwendet worden ist. (Die klugen Männer  von Oslo umgingen diese Schwierigkeit, indem sie dem Chef der Behörde in allen drei Sprachen  des Vertrages den arabischen Titel des Ra’is zusprachen, was beides bedeutet  „Präsident“ und „Vorsitzender“).

 

Nur ein Wort wurde während dieses langen Monologes nicht ausgesprochen: das Wort „Besatzung“.

 

 

BESATZUNG? Welche Besatzung? Wo Besatzung? Hat irgendjemand irgendeine  Besatzung gesehen?

 

Die Besatzung stand nicht auf der Agenda dieses düsteren Gipfeltreffens. Selbst in ihren wildesten Träumen konnten sich die arabischen Teilnehmer  nichts Wunderbareres vorstellen  als  eine „Lockerung der Beschränkungen“ , um das Leben der leidenden Bevölkerung  ein bisschen weniger schwierig zu machen; die Rückgabe der zurückgehaltenen palästinensischen Steuergelder ( d.h. Israel möge etwas von dem Geld zurückgeben, das es eingesteckt hat). Entfernung einiger Straßensperren, die die Leute daran hindern, von einem Dorf zum andern zu gehen. ( Das ist schon viele Male versprochen worden – und wird auch diesmal nicht geschehen, weil die Armee und der Shin-Beth-Geheimdienst dagegen sind. Olmert hat schon verkündet, dass dies aus Sicherheitsgründen unmöglich sei.)

 

Mit dem Gehabe eines Sultans, der den Armen am Straßenrand  Münzen zuwirft, verkündete Olmert seine Absicht, einige Fatah-Gefangene zu entlassen. 250 Münzen, 250 Gefangene. Das war also das „großzügige Geschenk“, das die Palästinenser vor Freude hochspringen lassen würde; das  Abbas „stärken“  und  so den trockenen Knochen seiner Organisation  wieder zu neuem Leben verhelfen würde.

 

Wenn Olmert nicht so weit weg von Abbas gesessen hätte, hätte er ihm auch ins Gesicht spucken können.

 

Zunächst einmal ist die Zahl der Freigelassenen lächerlich. Es gibt inzwischen über 10 000 (zehntausend!) palästinensische „Sicherheits“-Gefangene in Israels Gefängnissen. Jede Nacht wird  etwa ein weiteres Dutzend aus ihren Häusern geholt. Da es keinen Platz mehr in den Gefängniseinrichtungen gibt, werden die Gefängniswärter erfreut sein, einige Insassen los zu werden. Bei früheren Gesten dieser Art hat die israelische Regierung Gefangene frei gelassen, deren Haftfrist sowieso fast abgelaufen war, oder Autodiebe.

 

Zweitens hat  in den Gefängnissen eine Verbrüderung zwischen Fatah und Hamas stattgefunden. Der gewalttätige Kampf im Gazastreifen hat sich nicht in den Gefängnissen fortgesetzt. Das berühmte „Gefangenen-Dokument“, das die Grundlage zu der  (jetzt abgesetzten) Einheitsregierung legte, war gemeinsam von Fatah und Hamas-Gefangenen ausgearbeitet worden.

 

Olmerts Ankündigung seiner Bereitschaft, Fatah-  ( und nur Fatah-) Gefangene zu entlassen, geschieht in der Absicht, diese Einheit zu sabotieren. Dies könnte die Fatahleute als Kollaborateure  abstempeln und Abbas als jemanden, der sich nur um die Mitglieder seiner eigenen Organisation kümmert und dem die anderen völlig gleichgültig sind.

 

 

WELCHES ERGEBNIS hatte diese Konferenz also? Einige sagen : Null plus und einige sagen Null minus. Kein Wunder also, dass die arabischen Teilnehmer der Konferenz so düster drein schauten.

 

Wofür war sie gut? Für Abbas wäre eine Stärkung nötig gewesen, nachdem er den Gazastreifen verloren hat. Olmert hatte den Amerikanern versprochen, ihn zu stärken. Doch nach der Konferenz  hätte Olmert jene Phrase benützen können, die gewöhnlich  von israelischen Führern geäußert wird, wenn sie trauernde Familien besuchen: „ Ich bin gekommen, um sie zu stärken, aber ich bin es, der gestärkt wurde.“

 

Der einzige Gewinner war nämlich  Olmert. Die Konferenz hat bewiesen, dass Mubaraks und Abdallahs Einfluss auf Israel gleich Null ist und dass Abbas’ Position sogar noch schlechter  ist.

 

Um jeden Zweifel darüber zu beseitigen,  sandte Olmert die Armee sogleich in die Altstadt von Nablus, das Herz von Abbas virtuellem Königreich, um die Anführer des militärischen Arms der Fatah zu „verhaften“. Sie zeigten entschlossenen Widerstand und verletzten einige Soldaten. Ein Leutnant verlor eine Hand und ein Bein. Bei einem anderen Überfall – diesmal im Gazastreifen – wurden 13 Palästinenser getötet, einschließlich eines Jungen von 9 Jahren. Nach der offiziellen Version war es das Ziel, Militante zu provozieren, damit sie das Gefühl haben, gejagt zu werden.

 

Wenn das keine Besatzung ist, was ist es dann? Aber  - Gott bewahre –  dass jemand dieses Wort bei einer diplomatischen Diskussion nur erwähnt! Diese neun Buchstaben  haben sich in eine Obszönität verwandelt. Ein Neun-Buchstabenwort, das in der höflichen Gesellschaft zu einem Tabu geworden ist.

 

 

DAS VERSCHWINDEN der Besatzung als Diskussionspunkt ist die wirkliche Botschaft der Konferenz. All die Verabredungen und Zeremonien  waren nur dafür gedacht, den falschen Eindruck zu wecken, dass  Olmert und Abbas die Häupter von zwei Staaten seien,  die Verhandlungen auf der Grundlage von Gleichheit führten – und nicht als oberster Verantwortlicher einer Besatzungsmacht und einem Vertreter einer  unterdrückten Bevölkerung.

 

Das gilt für den gesamten  Diskurs über den israelisch-palästinensischen Konflikt im jetzigen Stadium. Die Welt hat sich so sehr an die Besatzung gewöhnt, dass seine schiere Existenz aufgehört hat, ein Diskussionsthema zu sein.

 

Das wird einem auch  bei den täglichen Berichten über den Konflikt  in den israelischen und ausländischen Medien deutlich. Sie berichten über das, was geschieht: die Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas, die Aktion der israelischen Armee, Abbas’ Probleme, die Entscheidungen der israelischen Regierung – alles ohne Zusammenhang mit der Besatzung. Als ob die Besatzung mit all ihrem Töten, Zerstören, Rauben und Enteignen ein natürliches Phänomen wäre wie das Sonnenlicht am Tage und das Sternengefunkel während der Nacht.

 

Da gibt es viele Themen, die diskutiert werden, wie z.B. ob die Situation der Palästinenser verbessert oder ihr Elend vergrößert werden soll; ob man Abbas Polizisten erlauben solle, sich frei mit Waffen in den Westbankstädten zu bewegen, um dort  zu versuchen, die Milizen zu vernichten, die gegen Israel kämpfen;  ob die Siedlungen vergrößert werden sollten oder nicht. Aber all diese Diskussionen beruhen auf der Annahme, dass die Besatzung für immer bleibt.

 

All das Gerede über die „Stärkung“ von Abbas geschieht in diesem Kontext: Es wird vorausgesetzt, dass Abbas und seine Leute als eine Verwaltung unter Besatzungsstatus  funktionieren. Nach Olmerts und Bushs Vorstellung ist es ihr Job, die Anordnungen der Besatzung durchzuführen – dafür erhalten sie ihr  eigenes Geld zurück und vielleicht ein paar leichte Waffen. Zufällig ist das der „Autonomie“ ziemlich ähnlich, die einst Menachem Begin den „arabischen Bewohnern von Judäa und Samaria und dem Gazadistrikt“  in Camp David (1978) versprochen hatte. Olmert ist tatsächlich bereit, über eine „Zwei-Staaten-Lösung“ zu reden – er redet viel mit einer Menge  aufgeblähter Worte und mit Pathos – während er praktisch alles Erdenkliche tut,  um  zu verhindern, dass diese „Vision“  vor dem Kommen des Messias zur Realität wird.

 

 

IN DIESER Realität  taucht auf einmal Tony Blair auf.

 

Er wird vom Quartett gesandt – also von etwas das eigentlich gar nicht existiert, einer diplomatischen Fiktion von vieren, die nur aus einem besteht.

 

Europa existiert nicht, was den israelisch-palästinensischen Konflikt betrifft, es sei denn als finanzielles Instrument des Weißen Hauses. Wenn der Präsident der USA es wünscht, sendet Europa Almosen an die Palästinenser. Wenn der Präsident der USA wünscht, die Palästinenser auszuhungern, dann verhängen die Europäer eine Blockade über sie.

 

Die UN ist seit langem zu  einem Instrument des US-Außenministeriums  verkommen, besonders für den Nahen Osten. Wenn der amerikanische Drillfeldwebel schreit, dann springt die UN in Hab-acht- oder Rührt-euch-Stellung.

 

Russland möchte wieder den Status einer Großmacht gewinnen. Wie in den Tagen des Zaren oder Stalins denkt es in Termini wie „Einflusssphären“. Der Nahe Osten ist eine amerikanische Einflusssphäre. Deshalb wird Russland sich da nicht einmischen, außer mit großspurigen Phrasen.

 

Das Quartett ist einfach eine amerikanische Frontorganisation. Und Tony Blair wird als Sondergesandter  des Präsidenten Bush  nach Palästina gesandt. Der Herr schickt seinen Pudel aus.

 

Wozu? Wenn Bush wirklich seine „Vision“ von zwei Staaten zu realisieren wünschte, dann bräuchte er Blair nicht. Er könnte es alleine tun – innerhalb weniger Wochen. Sogar die arme Condoleezza könnte es tun, statt über die Vorbereitung von Endstatusplänen zu plappern  und sie dann ins Fach abzulegen, wenn sie nur vom entschlossenen Willen des Präsidenten unterstützt würde.

 

Wozu wurde Blair also  ernannt?  Ist es nur deshalb, um einem überzähligen internationalen Star einen Status zu verleihen? Um jemandem einen Trostpreis zu geben, der für Bush  während des Irakkrieges  loyal gelogen  und betrogen hat?

 

Ja , natürlich. Aber seine Hauptaufgabe wird es sein, Entwicklungen  hinauszuziehen und Zeit zu gewinnen, alles hinauszuschieben,  So-tun-als-ob-Aktivitäten zu betreiben  und den Palästinensern und den Weltmedien eine Illusion des Fortschrittes zu liefern.

 

Blair wird kommen, sich treffen, Erklärungen abgeben, aus jeder Pore Charme verbreiten, Schlagzeilen schaffen, fliegen, zurückkommen, noch mehr ankündigen, sich noch mal  mit Königen, Präsidenten, Ministerpräsidenten treffen. Ein langer Schwanz nach Neuigkeiten lechzender Journalisten wird ihm überallhin folgen, Medienlärm verursachen, schreiben, tippen und Fotos schießen, als wäre er ein männlicher Paris Hilton.

 

Unterdessen sterben Palästinenser und Israelis, die Mauer wird vollendet, noch mehr Land wird enteignet werden, die Siedlungen werden vergrößert, gesuchte „Terroristen“ werden getötet werden, die Blockade um den Gazastreifen wird enger gezogen und all die hundertundeins  täglichen Aktionen der Besetzung werden fortgesetzt werden,  eben jener der Besetzung, die keiner bei ihrem Namen zu nennen wagt.

 

Die erklärte Aufgabe von Blair wird auch die sein, Abbas zu „stärken“. Wehe der Aufgabe! Wehe Blair! Wehe insbesondere Abbas!

 

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)