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Der israelische Polizeistaat

 

Avigail Abarbanel   The Electronic Intifada, 9.7.07

 

Am Freitag den 8.7.07 flog mein Mann nach Israel. Tatsächlich war er auf dem Weg zu einer IT –Konferenz in Wien, aber wir dachten, dass es schön wäre, einen kleinen, dreitägigen  Umweg über Tel Aviv zu machen, um meinen Bruder und seine Familie zu besuchen und besonders die kleinen 7 und 5 Jahre alten Nichten zum ersten Mal zu sehen.

 

Am Ben-Gurion-Flughafen wurde Jans Pass ohne Erklärung konfisziert. Er wurde zu einem kleinen Verhörraum mitgenommen und musste dort ein einschüchterndes Verhör über nicht vorhandene Visa-Stempel  Saudi Arabiens und des Libanons über sich ergehen lassen. Er wurde von einer streng aussehenden Polizei-Offizierin ausgefragt, während ein Agent in zivil danebenstand und beobachtete. Die  Polizistin fragte ihn, warum er diese Visa in seinem Pass habe. Als er antwortete, dass dies nicht sein Pass sein könnte, weil er keine solche Visa habe, ging die Offizierin weiter und fragte ihn nach den Namen seines Vaters und Großvaters. Obwohl Jan diese Fragen beim ersten Mal beantwortete, stellte sie diese Fragen noch drei mal. Jetzt wurde Jan klar, dass sie ihn einschüchtern wollte und obwohl er nun Angstgefühle hatte, wies er darauf hin, dass sie diese Fragen schon mehrfach gestellt habe und dass er sie schon beantwortet habe. Nach 25 Minuten wurde Jan schließlich entlassen ohne Erklärungen oder einer Entschuldigung, ihn aufgehalten zu haben.

 

Als frühere israelische Bürgerin mit militärischem Training sind mir die psychologischen Taktiken bekannt, die von der israelischen Grenzpolizei und vom Militär angewandt werden. Sie versuchen, ihr Opfer absichtlich einzuschüchtern und dieses in einen Zustand der Unsicherheit  über das zu lassen, was vor sich geht und wo seine Papiere sind. Sie wissen, dass  sich Ausländer ohne ihren Pass zutiefst unsicher fühlen, und dass Unsicherheit  bei den meisten zu Angst und Stresssymptomen führt. Sie wissen auch, dass das Vertrauen der meisten Leute unter solchen Umständen schwindet, und wenn es etwas  zu verraten gibt, dann geschieht es eher in dieser Lage. Die Fragen selbst sind nur ein Vorwand, um Stress zu erzeugen, um ihr Opfer   besser beobachten zu können, ob es Geheimnisse zu verbergen hat. Sie hatten Jans Pass. Sie wussten, dass es darin keine Visa gab . (Man fragt sich nur: was, wenn welche darin gewesen wären?)

Was wäre dann mit ihm geschehen ?  Die australischen Bürger haben die Freiheit, jedes Land zu besuchen, das sie besuchen wollen. Wenn man in Israel die „falschen“ Visa im Pass hat, ist man anscheinend ein Verdächtiger. Natürlich werden wir nie wissen, ob die Geschichte mit den Visa der wirkliche Grund für die kurze Verhaftung war.

Israel uns seine Anhänger stellen Israel immer wieder als „ die einzige Demokratie des Nahen Ostens“ dar, als das einzige demokratische Regime in einer nicht demokratischen Region. Vermutlich soll uns  dies den Staat sympathischer machen und unsere Unterstützung rechtfertigen. Aber Israels Demokratie ist ein Mythos.

 

In meinen 27 Jahren dort gehörte ich zum israelischen Mainstream. Ich war jüdisch, in Israel geboren und säkular. Ich war ein gewöhnlicher Bürger, der seinen Militärdienst absolvierte, durch und durch eine Israelin, in keine Politik oder irgend einen Aktivismus verwickelt. Ich war mit meiner eigenen Arbeit beschäftigt, machte mir Gedanken ums Geld, die Arbeit, das Studium, mein kleines Leben. Ich war kein Unruhestifter …Jeder der mir damals begegnete, würde gesagt haben, dass ich mit der vorherrschenden Ideologie übereinstimme. Und ehrlich gesagt, sie hatten Recht.

 

Obwohl das alltägliche israelische Leben frustrierend sein kann, besonders was seine Bürokratie betrifft, fühlten wir uns sicher, weil wir wussten, dass sich unsere Regierung – so aufregend sie auch sein mag, sich nicht gegen uns stellt. Tatsächlich kam uns dieser Gedanke gar nicht. Ich war ja ein Mitglied dieses bequemen Zentrums der israelischen Gesellschaft. Ich wusste ja nicht, wozu Israel fähig war, und was es bedeutet, wenn man nicht zu dieser Gesellschaft gehört. Ein Vorgeschmack über einen ungewöhnlichen „Status“ erlebte ich vor 17 Jahren, als mein Exmann – auch ein Israeli -  und ich planten, nach Australien auszuwandern und dabei waren, die letzten Dinge zu erledigen. Meinem Exmann, einem Ingenieur und einem Hauptmann bei der Armee, der dabei war, seinen letzten Vertrag abzuschließen, wurde plötzlich eines Nachmittags – ohne nähere Erklärung  - gesagt, er solle sich an einem bestimmten Ort zu einem kleinen „Plausch“ mit jemandem von der Militärpolizei  einfinden.

 

Unser Plan, Israel zu verlassen, war kein Geheimnis.  Israel zu verlassen, ist kein Verbrechen und Australien war nicht auf der Liste der Länder, die israelische Offiziere, die mit geheimen militärischen Projekten beschäftigt waren, nicht besuchen  oder in dem sie gar nach Ende ihres Militärdienstes leben durften ( Ja, solch eine Liste gibt es) . Auf jeden Fall gab es für meinen Exmann  keinen Grund des Verdachtes, dass dieses kleine „Plausch“ irgend etwas mit unsern Plänen zu tun haben könnte.

Er wurde in einen kleinen Raum geführt und darum gebeten, sich auf einen Stuhl mitten im Raum zu setzen. Eine Militärpolizistin lief um ihn herum und begann zu reden: „Wir fanden heraus, dass sie nach Australien auswandern wollen“. Er  antwortete: „Na so was!  Das ist kein Geheimnis.“ Sie reagierte aggressiv, er habe den Mund zu halten, sie würde die Fragen stellen. „Warum wollen Sie weggehen? Weiß Ihre Frau von Ihren Plänen.“ . Anscheinend hatte das Militär über die Polizei von unsern Plänen erfahren…Sie haben sicher gewusst, dass wir beide damit befasst sind. Die Fragen waren wohl nicht als bare Münze zu nehmen. Anfangs glaubte mein Exmann, auf die Fragen  richtig  antworten zu müssen; dann wurde ihm Absurdität der Situation klar, und  er wurde ärgerlich. Er sagte dann dem Feldwebel, dass er keinen Sinn in dieser Diskussion sehe, und wenn sie  nicht irgendeine Klage gegen ihn habe, würde er gehen. Als sie wieder aggressiv reagierte, stand er auf  und erinnerte sie daran, dass  er Hauptmann sei – und verließ den Raum.

Als wir keinerlei Information über diesen Vorfall erhielten, folgerten wir daraus, dass dies ein Versuch war, uns davon abzubringen, Israel zu verlassen. Natürlich war das ganze nur Psychologie, weil das Militär weder einen Grund hatte noch eine rechtliche Handhabe, uns von unsern Plänen abzubringen.

 

Bis zu dem Augenblick, wo die Armee erfahren hatte, dass wir auswandern, wurden mein Mann, ein Karriereoffizier und ich als die „Frau von“ mit  großem Respekt in der israelischen Gesellschaft und beim Militär behandelt. Wir gehörten nicht nur dazu, wir hatten einen Ehrenplatz . Die Wahl eines weiblichen Leutnants  ( bei dem „Plausch“) sollte ihn demütigen ( damit will ich nicht die Frauen beleidigen – aber so ist es nun beim Militär) Diese Einschüchterung sollte meinem Ex-Mann zeigen, dass sein Rang und Status nichts bedeuten, wenn er den „falschen“ Weg wählt. Wir waren verärgert, aber vor allem schockiert, dass er so behandelt wurde, nur weil wir Israel verlassen wollten. Es ist eine Sache, der Enttäuschung von Freunden und Verwandten zu begegnen. Es ist ein völlig andere Sache, das Subjekt einer bedrohlichen  Befragung durch die Militärpolizei zu sein. Als wir schließlich Ende 1991 das Land verließen, taten wir dies mit einem bitteren Nachgeschmack – wir hatten einen Blick auf ein Israel geworfen, das wir bis dahin nicht kannten.

 

Man frage irgendeinen Palästinenser, und er wird einem noch viel schlimmere Geschichten erzählen – offen gesagt, kann man dies nicht  mit einander vergleichen.  Palästinenser werden als Außenseiter angesehen, ob sie Bürger Israels  oder  Flüchtlinge in den besetzten Gebieten sind, ob Kinder oder Erwachsene, ob Männer oder Frauen. Alle Palästinenser leben unter ständiger militärischer und Polizeikontrolle. Sie erleben nichts von der mythischen israelischen Demokratie. „Israelische Demokratie“ ist etwas, das nur für die privilegierte und meist ignorante Elite reserviert ist, zu der ich  einmal gehörte, bis ich mich entschlossen hatte, das Land zu verlassen. Die palästinensischen Bürger Israels leben unter einem willkürlichen und brutalen Polizeistaatregime. Wenn sie mit der israelischen Bürokratie zu tun haben, so ist das für sie nicht nur frustrierend, sondern kann geradezu gefährlich sein.

 

Die Palästinenser in den besetzten Gebieten leben unter einem Pinochet-artigen Regime. Sie können mitten in der Nacht verschwinden – und dies geschieht zuweilen auch. Man verbindet ihnen die Augen, die Hände kommen in Handschellen, sie werden geschlagen, gedemütigt, an unbekannte Orte verschleppt, ohne dass die Familien davon unterrichtet werden, sie werden physisch und psychisch gefoltert und auf unbestimmte Zeit eingesperrt, ohne  angeklagt zu werden und egal, ob sie schuldig sind oder nicht. Es ist willkürlich und kann jedem geschehen. Das ist eine viel schlimmere Version als die, die ich oben beschrieb, doch die Grundprinzipien sind dieselben.

In solch einem Regime muss man nicht wirklich etwas Falsches getan haben, um so behandelt zu werden. Es ist nicht dafür gedacht, Leute zu fangen, die das Gesetz gebrochen haben….Es ist dazu da, um die Macht des Staates zur Schau zu stellen und den Leuten zu zeigen, wie klein und schwach sie sind, verglichen mit dem mächtigen Staat, um ein Gefühl zu geben, was einem passieren  kann, wenn man nur daran denkt, etwas gegen ihn zu tun. Im Falle der Palästinenser sind solche Taktiken auch dafür gedacht, das Leben unerträglich zu machen, um sie zu brechen und sie dahin zu bringen, wegzugehen. Was Israel wirklich wünscht, ist das ganze Land aber ohne Menschen – etwas, was der Westen sich weigert, anzuerkennen.

 

Israel ist kein nettes Land.  Es ist ein mächtiger Polizeistaat, der  sich auf eine pathologische Paranoia gründet, mit nur einem Schein von Höflichkeit, sorgfältig ausgearbeitet und  nur für die gedacht, die noch immer an den Mythos der israelischen Demokratie denken. Der normale Israeli lebt in einer fiktiven Seifenblase, die ihn von der Wirklichkeit trennt. Wenn es dort eine Demokratie gibt, dann erfreut sich ihrer  nur diese auserwählte Gruppe  - genau wie die konformistische weiße Bevölkerung im ehemaligen Südafrika. Israel heute zu unterstützen, bedeutet dasselbe, als ob man behaupten würde, Südafrika unter der Apartheid  sei  eine  annehmbare Demokratie gewesen. Das bedeutet auch, die Palästinenser sich selbst zu überlassen, genau wie die Welt die schwarzen Afrikaner ( und die weißen Dissidenten) 45 Jahre lang allein gelassen hat.

 

Avigail Abarbanel ist eine frühere Israelin und eine Psychotherapeutin.

Sie kann über  avigail@netspace.net.au   erreicht werden.

 

(dt. Ellen Rohlfs)