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Israels Image „dramatisch zusammengebrochen“ –

Zu einem eindringlichen Buch über das Leben der Palästinenser unter der Besatzung 2006 und 2007 von Sumaya Farhat-Naser

 

Von Rupert Neudeck

 

21.9.07

 

 

Liest man dieses Buch der auch in Deutschland bekannten Friedensfrau und Biologieprofessorin  (und hat die beiden ersten Bücher von Sumaya Farhat-Naser und zig andere gelesen), fragt man sich am Ende ratlos: Wieviele Bücher müssen noch geschrieben und gelesen werden, bis das Elend der Menschen und das Unrecht an den Palästinensern nicht nur erkannt, sondern beseitigt und beendet wird?

 

Das Buch hat einen unheimlich ehrlichen Duktus. Diese Frau ist nämlich nicht die geborene Politikerin, sie ist in den notgedrungenen politischen Menschenrechtskampf gezwungen worden. So lautet eine lapidare Eintragung: „27. September 2006: Ein Tag der Ruhe. Keine Nachrichten hören, keine Zeitung lesen. Einfach das Nötigste im Haushalt tun und sonst ausruhen.“ Und einen Tag später: „Am Kasr wachsen Kürbis Zucchini, Tomaten und Auberginen sehr üppig. Jeden Tag pflücken wir davon. Wir essen und verschenken von der reichen Ernte.“ Immer wieder biegt sich die gute Sumaya, die so viele in Deutschland kennen, zurück zur Natur, zur Erde, zum – Albert Camus, der sie sehr geschätzt hätte, würde er noch leben, würde gesagt haben: zum „mittelmeerischen Sein“, in der „die von Menschen gemachte Geschichte nicht alles ist“.

 

Aber es geht höllisch zu in den zwei Jahren, die die Autorin beschreibt, die schlimmsten Jahre. Sie beschreibt mit Inbrunst die Zähigkeit, mit der Muslime und Christen sich nicht auseinanderdividieren lassen. Wie man Respekt voreinander haben kann, einer Minderheit vor der Mehrheit, zeigen die Christen in Birseit und Ramallah: Am 26. 9. begann der Ramadan. Alle Menschen, Muslime wie Christen, vermeiden in dieser Zeit das Essen und Trinken in der Öffentlichkeit. „Bei Besuchen wird nichts angeboten. Die Christen machen dies mit, um ihren Respekt auszudrücken und um Solidarität und Verständnis zu zeigen. Die Muslime nehmen diese Geste mit Rührung zur Kenntnis.“

 

Die Autorin ist eine  begnadete Pädagogin: Wie sie sich freut in einem Seminar mit den Schülerinnen der Bait Idscha Schule langsam herauszukristallisieren, im sokratischen Gespräch, dass die gemeinsame Grundlage des Judentums, Islams und Christentum zu 90 % identisch ist. Und es dennoch Unterschiede gibt, die man respektieren kann.

 

Es ist eigentlich auch kein politisches Buch, das Sumaya Farhat Naser geschrieben hat. Es ist die Leidensgeschichte in Tagebuchform einer Friedensfrau, die an der Gewaltätigkeit ihrer Lebenssituation f a s t zerbricht. Das Buch geht allein um das „F a s t“. Denn Sumaya, wie wir sie kennen, geht nicht zugrunde. Sie ist wahrlich eine Heldin unserer Zeit. Und wenn der TV-Händedruck-und-vor–die-Mikrophone-Treten der Staatschefs nicht etwas so politisch Pawlowsches wäre, würde unsere Bundeskanzlerin  Angela Merkel sie auch mal in Birseit besuchen oder nach Ramallah in die deutsche Vertretung zum Gespräch kommen lassen.

 

Das Politische steuert mit unbeirrbarer Klarheit jemand hinzu, der ein wirklich nüchtern und zugleich bewegendes Nachwort geliefert hat. Prof. Ernest Goldberger, Basler Sozialwissenschaftler, seit 1991 in Tel Aviv, schreibt in einem traurigen Essay die Verantwortung, die Israel gegenüber diesem Volk trägt. Überrascht liest man als deutscher Leser: “Das noch vor 40Jahren hohe Ansehen des Landes Israel in der westlichen Welt ist förmlich zusammengebrochen. Die Lesart Israels, wonach es selbst Opfer der arabischen Integration sei und sich nur verteidige, wird mit jedem unschuldig getöteten Palästinenser unglaubwürdiger.. Manchmal scheint es mir, dass das „zusammengebrochene Ansehen“ - so wie es der scharfsinnige Analytiker Goldberger sagt - in deutscher öffentlicher Meinung damit auch in deutscher Politik noch niemand wahrgenommen hat.

 

Der Titel enthält eine literarische Assoziation für mich, die die Autorin nicht beabsichtigt hat: Der große russische Schriftsteller Leo Tolstoj hat im Bild der nicht zu zertretenden Disteln in seiner Erzählung „Hadschi Murat“ die unbeugsame und nicht zu zertretende Widerstandskraft der Tschetschenen meisterhaft beschrieben. So ähnlich beschreibt liebevoll Sumaya Farhat-Naser ihre Palästinenser Schwestern und Brüder, auch wenn sie manchmal so gar nicht, wie ihre Brüder und Schwestern auftreten.

Sumaya FarhatNaser: Disteln im Weinberg.

Tagebuch aus Palästina. Lenos Verlag Basel 2007 307 Seiten