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Genau nach  Anweisung

 

Gideon Levy, Haaretz, 2.2.07

 

Es ist keine Frage – es wurde alles nach  Vorschrift gemacht. Das Tor wurde  um 19 Uhr geschlossen und 16 000 Leute, Bewohner der Dörfer Beit Furik und Beit Dajan waren  bis um 6 Uhr früh wie in einem Gefängnis  eingeschlossen. Das ist das Verfahren, so  sind die Vorschriften. Wenn eine Frau den Kontrollpunkt mitten in der Nacht überqueren will, dann muss sie zu Fuß gehen und auf eine Soldatin warten, die eine Körperkontrolle macht, auch dann, wenn sie kurz vor einer Geburt steht. Und nur Wagen mit Passierscheinen wird es erlaubt, nach Nablus zu fahren, selbst wenn Sterbende darin sitzen; auch das ist nach  Vorschrift. Kein Soldat weicht von den Vorschriften ab, alles wird genau nach den Anweisungen im Buch, dem Buch der Besatzung gemacht.

 

Das geschah einem Krebspatienten, der anderthalb Stunden am Hawara-Kontrollpunkt warten musste, bis er in einem Taxi starb, das keinen Passierschein für Nablus hatte. Es war ein Taxi, mit dem er versuchte, vom Krankenhausin Jerusalem nach Hause zu kommen. Es war sein letzter Wunsch.

Und das geschah einer jungen Frau in Wehen, die eine halbe Stunde in der Kälte und im Regen stehen musste und dann  trotz der Wehen zu Fuß ein paar hundert Meter gehen musste.

So sind die Vorschriften.

 

Der Tod des Krebspatienten Taysir Kaisi war unvermeidlich. Aber warum mit so viel Mühe. Warum  ein so endloses Warten  in einem „nicht genehmigten“ Taxi am Kontrollpunkt? Und die junge, kurz vor der Geburt stehende  Frau Roba Hanani aus Beit Furik kam dann schließlich doch noch  im Krankenhaus  in Nablus an und  gebar dort ihr erstes Kind  - aber warum unter solchen Qualen? Haben sie das verdient? Was würden wir denken, wenn unsere Lieben so leiden oder  am Kontrollpunkt sterben müssten, der die Stadt und das Dorf von einander trennt. Am Checkpoint wird über Leben und Tod entschieden. Die Geschichte vom Tod Taysir Kaisi und der Geburt von Raghad Hanani zwischen dem Hawara-Checkpoint und dem Beit Furik Checkpoint während der angeblich „nicht so strengen Beschränkungen“ an den Kontrollpunkten – kaum eine Fahrstunde von Tel Aviv entfernt – ist eine Geschichte, die unsere Gleichmütigkeit erschüttern sollte.

Taisir Kaisi, 45, arbeitete in einem Hummusladen in Nablus. Er hat sieben Kinder. Vor einem Jahr wurde er krank. Man  diagnostizierte  vor nur einem Monat fortgeschrittenen Leberkrebs.  Ihm  wurde Chemotherapie verschrieben. Er ging von einem Krankenhaus zum anderen….

Am 15. Januar ging er mit seinem Cousin Hussein nach Jerusalem: sie hatten vier Passierscheine – für jeden einen pro Tag, um zwei Tage unterwegs zu sein, einen aus medizinischen Gründen, den anderen, um einen Patienten zu begleiten. Nur so können sie reisen. Kaisi war noch in einem Zustand, dass er am Montag sein Haus verlassen konnte; er lief zwischen den Kontrollpunkten von einem Taxi zum anderen. Am Qalandia-Kontrollpunkt musste er seine Hosen runterlassen – aus Sicherheitsgründen – auch das schaffte er noch.

 

Im Krankenhaus entschied man sich, ihn vier Tage zu behalten – aber er und sein Cousin hatten nur für zwei Tage die Erlaubnis. Nach mehreren Untersuchungen empfahl der Arzt, nach Hause zurück zu kehren und eine Chemotherapie in Nablus zu machen, in der Nähe seiner Familie.  Am Donnerstagmorgen verließen sie das Krankenhaus.

 

Sie nahmen einen Bus zum Qalandia-Checkpoint. An der Bushaltestelle mussten sie lange warten. Durch den Checkpoint gingen sie zu Fuß. Taysir konnte noch laufen. Sie nahmen ein Taxi, das sie nach Nablus bringen sollte. Während der ganzen Zeit schrie er vor Schmerzen und  fragte ständig: „Sind wir noch immer nicht in Nablus?“

Als sie am Huwara-Kontrollpunkt ankamen, baten sie den Taxifahrer, sie nach Hause zu fahren. Aber der Soldat am Checkpoint fragte nach den Passierscheinen. Hussein, der hebräisch sprach, erklärte dem Soldaten, dass Taysir schwer krank sei und dass er nach Hause müsse. Der Taxifahrer hatte auch keinen gültigen Passierschein. „Fahr zurück!“ befahl er ihm. Hussein erklärte auch, dass Taysir nicht mehr laufen könne. Der Soldat blieb hartnäckig. Dies waren die Vorschriften. Diese lauteten, dass Hussein und Taisir wohl Nablus betreten könnten, aber nur zu Fuß.

Taysir konnte keinen Schritt mehr gehen. Die Schmerzen im Bauch wurden unerträglich. „Er ist  Krebspatient,“ versuchte Hussein zu erklären. Doch vergeblich. Die Soldaten beachteten sie nicht mehr.

Der Taxifahrer parkte irgendwo am Rand an einem improvisierten Taxistand. Taysir wandte sich vor Schmerzen. Hussein suchte nach einem anderen Taxi und ließ Taysir im Taxi zurück. „Nimm dich, bitte, meiner Frau und meiner Kinder an!“ sagte er noch – es waren seine letzten Worte.

Hussein versuchte bei andern Taxis, bei einem Ambulanzwagen. Er rief den Roten Halbmond an. Nach 15 Minuten kam der Ambulanzwagen vom RH am Checkpoint an. Der Fahrer konnte die beiden zunächst nicht finden. Schließlich rannte Hussein auf ihn zu und dirigierte ihn zu dem Taxi, in dem Taysir lag.

Der  Sanitäter näherte sich Taysir und fragte ihn, wie es ihm gehe – aber Taysir antwortete nicht mehr. Der Sanitäter konnte nur noch seinen Tod feststellen. Sie hatten anderthalb Stunden warten müssen. Mit Hilfe von zwei Taxifahrern trugen sie ihn in den Ambulanzwagen  und fuhren ins Krankenhaus von Nablus, wo sein Tod bestätigt wurde.

 

Die Menschenrechtsorganisation B’tselem nahm den Fall auf. Der Sprecher der IDF behauptete später, der Patient sei auf dem Weg vom Krankenhaus zum Kontrollpunkt gestorben – nichts von Verzögerung der Abfertigung ….

 

Am Checkpoint sterben eben einige Leute und andere werden dort geboren – wie Robas kleine Tochter beinahe am 7. Dezember 2006.

Es war Robas erste Schwangerschaft. Am Abend fingen die Wehen an. Das eiserne Tor auf der Straße nach Nablus war schon verschlossen so wie seit Monaten von 7 Uhr abends bis 6 Uhr früh. Die Bewohner der beiden Orte befinden sich dann wie in einem Gefängnis. ( Um acht Uhr dreißig rief das junge Paar ein Taxi, um ins Krankenhaus nach Nablus gefahren zu werden – eigentlich nur wenige Minuten Fahrt entfernt. Es gibt zwei Straßen nach Nablus : die eine ist kurz – aber nur für Juden, die andere ist länger und muss durch den Beit-Furik-Kontrollpunkt. Aber zu beiden Straßen müsste man durch das eiserne Gitter, es war aber geschlossen, wie schon gesagt.

Der Taxifahrer näherte sich dem Tor und begann mit dem Scheinwerfer in Richtung des Wachturmes zu leuchten, der nur ein paar hundert Meter entfernt steht. Es war kalt und regnerisch. Nach etwa 10 Minuten kam ein Militärfahrzeug. Der Taxifahrer erklärte den Soldaten, dass er im Taxi eine Frau mit Wehen habe. Doch die bestanden darauf, dass sie zu Fuß durch das Tor gehen müsse. Roba stützte sich  weinend auf ihren Mann und hielt ihren Bauch und hatte Angst vor ihrer ersten Geburt. Sie mussten ein paar hundert Meter bis zum Kontrollpunkt laufen. Dort wurde ihr befohlen auf eine Soldatin zu warten, die sie untersucht, vielleicht trägt sie ja eine Bombe am Bauch.

Auf der andern Seite stand schon ein Ambulanzwagen, der auf sie wartete. Dora durfte nicht einmal in den Ambulanzwagen, um dort zu warten – das sind die Vorschriften.

Sie standen also draußen und warteten auf die Soldatin, die schließlich kam, sie untersuchte und ihr die Erlaubnis gab, endlich ins Krankenhaus gefahren zu werden. Der Militärsprecher behauptete, nichts von solch einem Fall zu wissen.

Schließlich wurde Raghad im Krankenhaus geboren und Mutter und Kind geht es gut. Die Großeltern aus dem Nachbardorf auf dem gegenüber liegenden Hügel haben sie erst  einmal gesehen. Sie dürfen nicht nach Beit Furik kommen.

Die Hananis waren  glücklich – ihre Fahrt war gut ausgegangen, das Kindchen liegt gesund in seinem Bettchen.

Vor 3 Jahren war Rula Ashateya in Wehen. Sie versuchte,  über denselben verfluchten Kontrollpunkt nach Nablus zu kommen. Die Soldaten hinderten sie daran. Rula  verbarg sich hinter einen Zementblock am Kontrollpunkt, kauerte sich dort hin und gebar dort mit Hilfe ihres Mannes als Hebamme ihr Kind. Das Neugeborene verletzte sich anscheinend an einem Stein und starb. Ihre Eltern wollten sie eigentlich Mira nennen, weil alle ihre Kinder mit einem M beginnen – so schrieb ich damals. (34 Kinder sind bei solchen Geburten am Kontrollpunkt gestorben und 4 Mütter dabei auch. ER)

Auch damals sagte der Militärsprecher, dass „die Soldaten davon unterrichtet seien, humanitäre Fälle zu jeder Zeit und in jeder Situation passieren zu lassen.“

 

(dt. und stark gekürzt bzw. zusammengefasst: Ellen Rohlfs)