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Folter ohne Spuren

 

Gideon Levy, Haaretz, 22.3.07

 

Was fällt dem Shin Beth nicht alles ein, um einen Verhafteten zu brechen. Zunächst wenden die Verhörer Drohungen an und sagen den Verhafteten, dass ihre Angehörigen wegen ihnen verhaftet wurden. Nun geht die Show sogar noch weiter. Unter falschen Vorwänden bringen Agenten die Frau und den alten Vater eines Sicherheitsgefangenen zu einem Verhörzentrum, wo sie ihn zwingen, seine Keffiye abzunehmen, um ihn zu demütigen, ihn in Gefängniskleidung stecken und ihn an beiden Armen halten. So wird er seinem Sohn durch ein Fenster vorgeführt, der seit Wochen in  Isolationshaft sitzt und dem keine Gelegenheit gegeben wird, seinen Anwalt zu treffen.

 

Die Folge davon: der Gefangene M. geht in Hungerstreik. Er hatte schon dreimal  versucht,  in seiner Zelle sich das Leben zu nehmen, zweimal durch Schlagen des Kopfes gegen die Mauer und einmal durch Aufhängen.

 

In seiner Anordnung, dass die Anwendung von Folter verboten sei, schrieb der Oberste Gerichtshof: Ein  vernünftiges Verhör ist unbedingt frei von Folter, frei von grausamer, unmenschlicher Behandlung gegenüber dem Verhörenden und ohne demütigende Behandlung.

 

Das Allgemeine Komitee gegen Folter in Israel behauptet in seiner Petition gegenüber dem Obersten Gerichtshof , was M. betrifft: Die Anwendung von Verhörmethoden, bei denen der Vater und  die Frau des Klägers ihm als Gefangene vorgestellt werden, verursachten beim Kläger echtes psychisches Leiden, das ihn dahin brachte, sich selbst zu verletzen, ja, einen Selbstmord zu versuchen.

 

Die Richter Procaccia,   Rubenstein und Berliner entschieden vor zwei Wochen über diesen Fall M. Der Oberste Gerichtshof befahl dem Shin Beth, M. zu sagen,  seine Frau sei nie verhaftet worden und  er solle zum Wochenende einem Psychiater vorgeführt werden .

 

Die Folge: im Ashkalon-Gefängnis ist ein Gefangener in einem Zustand schwerer psychischer Störung, während zu Hause in Beit Awa sein Vater und seine Frau   über das schmutzige Spiel sehr beunruhigt sind, das mit ihnen gespielt wurde. Der Staat hatte ihnen nicht erlaubt,  ihn seit seiner Verhaftung zu besuchen.

……

Am 1. Februar 2007 wurde für die Familie  die Welt auf den Kopf gestellt. M. und seine Frau wurden mitten in der Nacht durch Steine geweckt, die gegen ihre Tür geworfen wurden. M. ging im Schlafanzug nach draußen und stand Soldaten gegenüber. Die Soldaten sagten seiner Frau, sie solle ihm noch einen Mantel und Schuhe bringen. Dann verschwanden sie mit ihm in der Nacht. Die nächsten 30 Tage durfte ihn niemand besuchen, auch nicht sein Anwalt.

 

Eine Woche nach M.s Verhaftung – wieder mitten in der Nacht – klopften Soldaten an die Tür des Vaters. Neun Jeeps standen um das Haus. Ein Offizier ging auf ihn zu und fragte nach seinem Namen und nach den Namen seiner Kinder. Als er bei M. war, sagte er : es reicht.

 

Der Offizier stellt sich als  der „Captain“ vor, der M. verhaftet habe. Er sagte zu M’s Vater:

„Komme morgen um 8,30. Dann gebe ich dir eine Karte, damit du deinen Sohn besuchen kannst. Er ist in einem schlechten Zustand und bring ihm Kleidung zum Wechseln mit.“  …An jenem Morgen nahmen M’S Vater und seine Frau ein Taxi zum Haftzentrum in Etzion. Sie warteten bis Mittags. Dann wurde seine Frau aufgerufen und ihr gesagt, sie solle das Paket mit Kleidung draußen liegen lassen. A. wurde eine halbe Stunde später gerufen. Er ging in die 2. Etage und sah dort die Frau seines Sohnes. Er wurde kurz ausgefragt. Seine Schwiegertochter sagte ihm, dass sie inzwischen mit ihrem Mann gesprochen habe. M. habe gesagt, sie solle sich keine Sorgen machen, er sei unschuldig. Die Wächter hätten ihn grob gestoßen. Ihr Treffen habe nur wenige Minuten gedauert.

 

A.berichtet: Nun sagten sie zu mir, ich solle meine Keffije abnehmen. Sie nahmen sie und legten sie auf einen Stuhl. Ich bin ein 63Jähriger Mann. Ich habe keine Haare mehr. Es ist für mich demütigend. Dann kamen zwei Männer, ein Äthiopier und ein Druse, der besser Arabisch sprach als ich. ..Er sagte zu mir: „stell dich auf den Stuhl“. „Wenn die Regierung sagt, ich solle mich auf einen Stuhl stellen, dann mach ich das.“ Dann gingen die beiden hinaus und kamen nach wenigen Minuten wieder zurück mit einem zerschlissenen und schmutzigen Mantel, den kein Hund nehmen würde. Ich sagte zu ihnen: ich habe doch ordentliche Kleidung, warum gebt ihr mir das?“ „Steh auf und zieh das an !“ Was sollte ich tun? Sie  machten den Mantel so zurecht, dass nichts von meiner Kleidung herausschaute.  Schließlich wurde mit klar, was das werden sollte. Ein Schauspiel.“

Die uniformierten Gefängniswärter nahmen A. auf beiden Seiten  an den Armen . „So sah es aus, als wäre ich krank. Ich der ich am nächsten Tag einen Kühlschrank  aus der 1. Etage nach unten beförderte, musste nun eine Stufe in zwei Schritten gehen, als ob ich krank und steif wäre …

A. und seine beiden Wärter, die Mitspieler bei dieser Show, gingen in den Hof hinunter, wo man ihm sagte, er solle zu einem Fenster im 2. Stock schauen. Doch A. sah seinen Sohn nicht, weil er kurzsichtig ist. Danach wurde A. entlassen. Dieses war die 1. Show.

A. und seine Schwiegertochter  kehrten nach Hause zurück. M.s Frau sagte, dass M. am Fenster gestanden sei, dünn und unrasiert, als A. im Hof mit dem Gefängnismantel stand.

Eine Woche später klingelte das Telefon. Es war wieder der Captain. Er solle noch mal nach Etzion kommen, wo er ausgefragt wurde, auch über die Arbeit seines Sohnes. A: er hat ein Geschäft mit Polstermöbeln.

Vor einer Woche kamen Sicherheitsleute mit 20 Jeeps und brachen in den Laden ein, zerbrachen die Türe und die Fenster und zertrümmerten alles. Danach war nichts mehr drin.

 

Ein Gefangener, der vor ein paar Tagen entlassen worden war, sagte zu A., dass M. versuchte, im Gefängnis Selbstmord zu begehen und  sein Zustand sehr ernst sei. Vielleicht wollte er auch dem Leiden seines Vaters ein Ende machen, weil er glaubte, er sei wegen ihm krank und  im Gefängnis.

 

(dt. und gekürzt: Ellen Rohlfs)

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