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Ein Schafstall, drei Zelte, ein Sonnenschutz

von Gideon Levy und Miki Kratzmann (Foto), Haaretz 1.9.07, Im Land der Dämmerung

 

Wer sagt, dass Israel illegale Vorposten nicht räumt? Zweimal entdeckten die Leute von der Zivilverwaltung die Zelte der Schafhirten im nördlichen Jordantal und zerstörten sie. Ist das nicht ein Rechtsstaat?

 

Eine Sandwolke bedeckte die Wüstenlandschaft. Ein Jeep und ein weißer Lastwagen kamen die Hügel herab; der Hilfsconvoy des Internationalen Roten Kreuz kam näher. Ein darfourischer Anblick mit Genfer Nummernschildern. Sie brachten Zelte, Decken, Konservendosen und Haushaltsgeräte, genau wie ähnliche Convoys sie nach Darfour bringen.

 

"In Darfour ist es besser. Alle Welt interessiert sich für Darfour, für uns interessiert sich niemand mehr", meint der greise Schäfer Abd Al Rahim Bashrat (Abu Saker) seufzend. Zum zweiten Mal in diesen Tagen kam das Rote Kreuz zu ihm. Zum zweiten Mal hatte die Zivilverwaltung, Hüter von Gesetz und Ordnung,  hier gewirkt, und die dürftigen Zelte der Schafhirten hier, mitten im Nirgendwo, vollständig niedergerissen.

 

Wer sagt, Israel räumt keine illegalen Vorposten? Wer sagt, in der Westbank würde nicht das Gesetz gewahrt? Seht die Reste dieses armseligen Zeltlagers, wo Dutzende von barfüßigen Kindern und aufgescheuchten Hühnern herumlaufen. Diese "Eindringlinge", wie sich der Sprecher der Zivilverwaltung ausdrückt, suchen vergeblich Schutz vor der brennenden Sonne mitten in der Wüste, mitten im Sommer.

 

Ja, natürlich, der Oberste Gerichtshof hat schon vor langer Zeit bestätigt, dass es sich hier um "illegale Gebäude" handelt; natürlich passiert hier alles gesetzesgemäß. Was aber ist mit der Gerechtigkeit? Wohin sollen diese Hirten gehen, deren Weidegrund dies seit Jahrzehnten  ist? Und was für ein Beschluss ist das, der sie zu Eindringlingen macht, während die Siedler in dieser Gegend gesetzlich bestätigte Einwohner sind? Was für eine Heldentat ist es, gerade die Schwachen, Hilflosen zu räumen, und nicht die gewalttätigen Supermänner der neuen Siedlungen und Vorposten, die hier auf jedem Hügel auftauchen. Drängende Fragen, die unbeantwortet liegen bleiben, hier in der stillen Talsenke, in Humsa, in Hadidya, zwei weit abgelegenen Orten, an denen diese Hirten ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Sie suchten Weiden für ihre Schafe, ihre einzige Einnahmequelle im heißen Sommer. Wie effizient ist doch die Maschinerie der Besatzung: Kein Zelt bleibt ihr verborgen, nicht einmal hier, im hintersten Winkel dieses geschundenen, blutenden Landes.

 

"Von den Bergen herab ins Tal, stieg ein schwarzer junger Widder. Ein blökendes Schaf weint im Stall, um sein verlorenes Lämmchen", dichtete Lea Goldberg1. Wie lieben wir die Hirten: Dutzende von Liedern und Gedichten erzählen von Hirten und ihren Herden, kein anderer Beruf wird in unserer kurzen Mythologie in diesem Land in solch romantischem Licht gesehen. Von "Trinkt, ihr Herden", bis "Die Hirtenflöte singt, hier kommt die Schafherde". Über diese Hirten und Schafe schreibt keiner ein Gedicht. Für Lea Goldbergs "blökendes weinendes Schaf" gibt es nicht einmal einen Verschlag.

 

Wir waren von der wenig befahrenen Allon-Straße abgebogen,  in einen sandigen Weg, eine Staubwolke hinter uns lassend, immer hinter dem Auto des Mitarbeiters von B'tselem 2 her, Atef Abu-Rob. Junge Hirsche hüpften am Rande der abgeernteten Obstplantagen von Bekaot, einer grasgrünen Siedlung inmitten der Wüste. Etwas weiter die Siedlung Ro'i, in der man keinen Wassermangel kennt.

 

Nach Kilometern Sand und nochmal Sand kamen wir zum Wohnort der Familie Bsharat: Alles zerstört. Letzten Donnerstag hatte sie jemand von der Zivilverwaltung entdeckt, einen Traktor und einen Wasserbehälter konfisziert, fast die einzige Lebensquelle hier, und die Zelte mitsamt den darin verborgenen bescheidenen Besiztümern zerstört. Jetzt liegen Haushaltsgeräte, Matratzen und Kinder unter freiem Himmel. Und der Hund liegt beim Hahn: Hühner und Hunde drängen sich gemeinsam in den neuen Schatten, gespendet vom neuen Sonnendach, der für Mensch und Tier reichen muss. Fünf Schafe sind schon in der Hitze verendet, ein paar trächtige Tiere haben ihre Lämmer verloren.

 

Um die dreißig Menschen leben an diesem Ort. Die meisten sind Kinder mit triefenden Nasen, schrecklich verwahrlost. Sie kommen aus der Stadt Tamoun; aber hier ist ihr Lebensunterhalt, ihr Lebenszentrum. Die Großfamilie hält hier 700 Schafe. Im Sommer hält sich die gesamte Familie hier auf; im Winter gehen die Frauen und Kinder nach Tamoun und nur die Männer, die Hirten, bleiben bei der Herde.

 

Wir sitzen im Schatten von gebrauchten Mehl-Säcken, die man an Holzstöcke gebunden hat, als Ersatz für die zerstörten Zelte. Die Frauen kauern unter einem anderen Mehlsack-Pavillion. Kein Strom, kein Wasser, keine Kanalisation, keine Schule. Nichts. Trotz ihrer Lebensweise sind sie keine Beduinen, sondern palästinensische Schäfer, auch wenn in den Unterlagen der allwissenden Zivilverwaltung manchmal anderes zu lesen steht. Abu-Saker sagt, sein Vater sei auch hier geboren.

 

Seit Jahrzehnten weiden sie in dieser verlassenen Gegend. Wen, zum Kuckuck, stören sie also? Abu-Saker sagt: "Sie wollen freies Land. Sie wollen uns leiden lassen, damit wir gehen. Das gehört zum Kampf gegen die Palästinenser." Seit 1997 werden sie hier von der Zivilverwaltung gejagt. Erst hat man versucht, sie in geschlossenen Gehegen zusammen zu treiben, ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt, jetzt will man sie ganz loswerden. Früher konnten sie mit dem Traktor über die Berge nach Tamoun fahren, jetzt hat die Armee Gräben gegraben, um das zu unterbinden; der Weg nach Tamoun ist viermal so lang geworden, nicht gerechnet die Checkpoints unterwegs, durch die nur ins versperrte Jordantal darf, wer im Personalausweis die passende Adresse vermerkt hat.

 

Am letzten Donnerstag Morgen, ungefähr um halb neun, kam der Zerstörer-Convoy hier an. Ein Bulldozer, Jeeps, Lastwagen, Zivilverwaltung, Armee, die ganze Gemeinde der Gesetzeshüter. Ohne ein Wort erfüllten sie ihre verachtenswerte Aufgabe: Innerhalb einer Stunde war kein Stöckchen mehr auf dem anderen. Die Zelte, der Sonnenschutz, der Stall, alles zermalmt. Abends kehrten die Zerstörer nach Hause zurück und was erzählten sie über ihr Tageswerk? Dass sie Zelte niedergerissen haben? Von harmlosen Schafhirten? Dass sie das Gesetz erfüllten. Die Aktion wurde zu-frieden-stellend durchgeführt.

 

Der Schafhirte Mustafa Bsharat, Vater von sechs Kindern: "Sollen wir uns dagegen wehren? Wie denn? Haben wir irgendwas in der Hand?" Sie saßen also und schwiegen und sahen zu, wie ihr Leben zerstört wird. Die Zerstörer waren auch schon am Dienstag da, zehn Tage davor, sie werden auch in zehn Tagen wieder da sein. Die Arbeit muss erledigt werden. Den Traktor und den Wasserbehälter konfiszierten und luden sie auf den Lastwagen, damit den Menschen hier nicht etwa Wasser bliebe. Zerstören, ausreißen, dem Erdboden gleichmachen, und verdursten lassen, auch das. So teuflisch ist die Besatzung. Nur zwei winzige Bienenstöcke sind auf ihren Untersätzen geblieben, in all dem Schutt. Vielleicht haben sie sich versteckt, oder die Zerstörer waren etwas schlampig.

 

Die sonnenzerfurchten Gesichter der Hirten sehen müde aus.

Im Februar dieses Jahr waren sie aus Hadidya vertrieben worden und hierher übersiedelt, nachdem sie vor dem Obersten Gericht verloren hatten. Eran Ettinger, stellvertretender Oberstaatsanwalt, schrieb damals an das Gericht: "Die Beschlüsse der für diese Gebäude zuständigen Planungsbehörde wurden auf Grund der Gegebenheiten vom Standpunkt planungstechnischer Sachverhalte aus gefällt, die nicht in den Wirkungsbereich dieses ehrenwerten Gerichts fallen." Abu-Saker hebt ein Stück rostiges Blech aus dem Sand: "Ist das ein Gebäude?" Planungstechnischer Sachverhalt.

 

Die Kücken laufen uns über die Füße, sie suchen Schutz vor der Sonne. Ein weißer durstiger Esel steht angebunden in der Sonne. Wo schlaft ihr denn? "Hier."  Wie, hier? "Hier auf der Erde." Abu-Saker: "Es geht nicht anders. Wo sollen wir denn hin? Einen halben Kilometer aufwärts oder abwärts? Wohin dann mit 700 Schafen?" Habt ihr schon mal daran gedacht, die Herde zu verkaufen und einfach zu gehen? "Natürlich. Wenn die Regierungsämter sich öffnen würden und Arbeit für uns hätten, würden wir natürlich gehen. Aber wer würde uns schon nehmen? Wir haben nichts anderes gelernt. Wir sind Schäfer. Wenn wir hier unter diesen Bedingungen leben, dann nur, weil uns nichts anderes übrig bleibt.

 

"Wer würde schon gerne unter solchen Bedingungen leben? Gibt es in Israel jemanden, der so lebt? Aber selbst unter diesen Bedingungen lässt man uns nicht leben.  Wir interessieren uns nicht für Politik. Wen gefährden wir hier? Wen stören wir hier? Gebt uns Essen für unsere Kinder und wir geben die Herde ab. Es bleibt uns nichts anderes. Entweder Schäfer bleiben, oder zu Dieben werden. Wenn wir die Herde verkaufen, wäre das unsere einzige Möglichkeit. Und die wollen wir nicht.Wir wollen keine Diebe sein."

 

Im nächsten Zeltlager, ein paar Dutzend Meter weiter, sitzt Abdallah Bni-A'udi, gestützt auf seinen Stock. Der etwa sechzigjährige Mann ist an beiden Beinen teilweise gelähmt, er kann sehr schlecht stehen. Seine Schuhe sind zerfleddert, sein Zustand hat sich in den letzten Jahren  nicht gebessert. Er sitzt auf einem geretteten Stück Plastikstuhl, unter einem Stück Stoff, gespannt auf zwei Stecken. Auch seine Zelte sind zerstört worden; das gleiche Bild des Elends wie bei den Nachbarn.

 

"Israelische Verteidigungsarmee, Beschluss in der Sicherheits-Angelegenheit (Judäa und Samaria) Nr.378, 1970. Die Zivilverwaltung, zentrale Kontrollabteilung. Ankündigung einer Zwangsräumung aus gesperrtem Gebiet. Stall + drei Zelte und Sonnendach. Traktor, Wasserbehälter und Transportgestell."

 

Der Sprecher der Zivilverwaltung antwortete auf Anfrage von "Haaretz": "Die von Ihnen erwähnten Gebäude wurden illegal errichtet. Demzufolge hat die Kontrollabteilung der Zivilverwaltung die endgültigen Beschlüsse zum Abriss dieser Gebäude ausgeführt.  Die Durchführung des Abrissbefehls gegen das nicht genehmigte Gebäude in Hadidya wurde sogar zweimal auf Antrag der Ortsbewohner vom Obersten Gericht geprüft, in beiden Verfahren wurde die Position der Zivilverwaltung bestätigt."

 

Das satte Grün der Siedlungen ringsum verspottet das armselige Leben hier. Vom Rot-Kreuz-Laster wird die Hilfe abgeladen, die die Welt den Flüchtlingen von Humsa gewährt. Die Schäfer sehen gleichgültig zu. Eine Schweizerin sieht in den Listen nach, der palästinensische Fahrer holt eine Matratze nach der anderen, ein Zelt nach dem anderen, ein Kaffee-Set nach dem anderen von der Ladefläche. In ein paar Tagen, das wissen hier alle, wird auch das zerstört werden.

 

 

1 Leah Goldberg, 1911-1970, israelische Dichterin;

2 Btselem: Menschenrechtsorganisation, in den besetzten Gebieten tätig  www.btselem.org

 

(dt.Weichenhan-Mer)