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Wer ist frei auf der Hallalimkreuzung?

Oder außergerichtliche Todesstrafe (ER)

 

Gideon Levy/ Miki Kretzmann, Haaretz, 27.4.07 ( Aus dem Hebr. Judith Green)

 

Augenzeuge: Die als Araber verkleideten israelischen Soldaten zogen Ashraf Haneishe aus seinem Taxi, schossen ihm in die Knie, zogen ihn verwundet an den Straßenrand und schossen ihn in den Kopf und in die Brust. Der Armeesprecher: „Während einer versuchten Verhaftung, zog er eine Waffe.“

 

Eine an den Straßenrand geworfene, zerquetschte Familien-Coca-Cola-Flasche liegt auf dem Steinhaufen, der von Freunden  improvisiert wurde. Vier Tage nach dem Vorfall war der kleine Blumenkranz  schon verwelkt. Es war auf der Hauptstraße zwischen Nablus und Jenin, und es war am Vorabend unseres Gedenktages. Nun finden immer mehr Beerdigungen auf beiden Seiten der Straße statt: nach einem blutigen Wochenende mit neun getöteten Palästinensern in den besetzen Gebieten – sieben hier und zwei andere im Gazastreifen.

 

In wenigen Stunden werden wir die Sirenen  für den Gedenktag hören und das Volk von Israel wird um die Getöteten trauern. Gleichzeitig werden in Nablus die beerdigt, die während der Nacht getötet wurden, Amin Labada, 20, Fadel Nur, 21; in Kfar Daan beerdigten sie einen palästinensischen Polizisten, Muhamed Abed, der durch das Fenster seines Hauses  erschossen wurde; und im Flüchtlingslager von Jenin beerdigten sie das Mädchen Bushra al Wahish, 17, deren Bruder gesucht wurde.

 

Während  Nablus und Jenin seine Toten beerdigt, sind die Menschen in Kabatija, das dazwischen liegt, noch wütend über den Mord an einem der ihren, Ashraf Haneishe. Haneische, ein Taxifahrer und pal. Polizist, vielleicht auch gesucht, wurde in dieser Woche hier  von der Undercover-Einheit (Mist-aravim) am hellerlichten Tage vor den Augen seiner drei erstaunten Taxipassagiere erledigt.

 

Das Trauma ist noch immer auf dem Gesicht des Arbeiters, Haled sichtbar. Er war einer der Mitfahrer,   der uns erzählte, was er gesehen hat, während der trauernde Vater von Haneishe seinen Zorn zum Ausdruck brachte; sein Kinn zitterte, seine falschen Zähnen fielen ihm beinahe aus dem Mund.

 

Ein leichter Wind bewegt die Spitzen der Zypressen, die in der Nähe den kleinen Soldatenfriedhof der irakischen Armee von 1948 umgeben. Wir besuchten den Ort vor drei Wochen, um einen anderen Mord im nahen Dorf Shohada zu dokumentieren. Und nun sind wir schon wieder hier wegen noch eines Mordes. Wenn die Berichte der Augenzeugen richtig sind, so wurde Haneishe kaltblütig ermordet. Er hinterließ eine Frau und zwei kleine Kinder. Zuerst wurde er von den Mist-aravim verletzt und dann in einem Straßengraben getötet, während man ihn ohne Verletzung hätte verhaften können. Wenn die Augenzeugen richtig berichten, so war dies noch ein mörderisches Verbrechen.

Haneishe war eine Woche lang  Polizist und die  andere Woche  arbeitete er als Taxifahrer auf der Kabatiya-Jenin-Nablus-Straße. Das war sein Leben. Sollte er dann noch Zeit gehabt haben, um als Aktivist beim Islamischen Jihad mitzumachen, wie die IDF behauptet? Um sein Einkommen als Polizist in Nablus zu ergänzen, wo sein Gehalt seit langem nicht gezahlt worden war. Deshalb arbeitete der junge Mann auch auf der Familientaxistation, die ihm und seinem Bruder in Qabatia gehört. Eine Woche Polizist, eine Woche Taxifahrer – war er außerdem ein „Gesuchter“ ? Wie kann er ein Gesuchter sein, wenn er als Taxifahrer arbeitet und täglich die zahlreichen IDF-Kontrollpunkte durchfährt? fragen seine Freunde. Erst letzte Woche fuhr er durch den Beit Iba Kontrollpunkt, sagen seine Taxi-Kollegen. Die Soldaten stoppten ihn, kontrollierten seine Ausweispapier und ließen ihn dann fahren. Was für eine Art von „Gesuchten“ ist er dann?

 

In den Tagen vor seinem Mord  wurden Verwandte von ihm zwar gefragt, ob sie Ashraf seien – es waren immer Leute, die wie Araber aussahen …Als Ashraf von seinen Kollegen gefragt wurde, ob er ein „Gesuchter“ sei, wusste er von nichts. Er fuhr doch jeden Tag durch den Checkpoint. Er hatte nie eine Waffe und war immer ein ernsthafter Arbeiter wie jeder im Taxibetrieb. …

Am Dienstag letzter Woche stand er wie üblich auf, weckte seine Töchter holte etwas aus dem Laden zum Frühstück. Um 7 ging er zum Taxistand. Um 9 Uhr 30 fuhr er los zu seiner ersten Fahrt, die auch seine letzte wurde. Der Autoschlosser Sabana telefonierte und bestellte ein Spezial-Taxi bei einer Autowerkstätte und bestellte Motorteile. Zu dritt fuhren sie los, Haneishe, der Autoschlosser und der Besitzer des Wagens, der ein Ersatzteil für seinen Motor brauchte.

Sabana, 27, sagte, die Straße nach Jenin sei frei. Sie kauften die Teile und machten sich auf den Rückweg nach Kabatiya. Haneische war sein üblicher Fahrer. Er sah ihn nie mit einer Waffe. Auch diesmal nicht. Auf dem Rückweg nahmen sie an einer Kreuzung noch einen Passagier auf, der auf dem Weg zu seiner Arbeit war.

Ein paar hundert Meter vor der Kreuzung sahen sie einen alten VW-Transporter, weiß und gelb angestrichen und mit einer palästinensischen Autoplakette. Dieser überholte sie links. Plötzlich hielt dieser an, blockierte die Fahrbahn für das Taxi. Haneische sagte noch: „Vielleicht haben sie ein Problem.“

 

Fünf oder sechs maskierte Männer sprangen aus dem Transporter mit schwarzen Strumpfmasken über den Gesichtern, bedrohten Haneishe und die andern Passagiere im Taxi mit gezogenen Waffen. Sabana war sofort klar, dass es eine Mist-aravim-Gruppe war. Sie befahlen den drei Passagieren, sich sofort auf den Boden zu legen, Haneishe stieg – nach Aussage von Sabana - mit erhobenen Händen aus dem Wagen.  Er habe dann  seinen Ausweis  aus der Tasche holen wollen. Er versuchte nicht zu fliehen. Die maskierten Männer hätten sofort auf Haneishes Kniee geschossen. Er fiel verletzt auf die Straße.

 

Danach zogen die Männer den verletzten Haneishe auf die andere Straßenseite. Alles geschah sehr schnell. Nach wenigen Sekunden hörte Sabana Schüsse. Die Soldaten erlaubten den auf dem Boden liegenden Passagieren nicht, ihren Kopf zu heben. Sabana behauptet noch, sie hätten einem von ihnen gegen den Kopf gestoßen. Aber aus dem Augenwinkel heraus sah Sabana wie Haneishe am Straßenrand lag, den Körper von Kugeln durchlöchert. Er wurde nach Zeugenausagen aus nächster Nähe erschossen, nachdem man ihm schon  in die Beine geschossen hatte.

 

Die maskierten Männer kehrten zu ihrem Wagen zurück und befahlen den drei geschockten Passagieren, auch in ihren Wagen zu steigen. Salana sagt, dass  ihm die wenigen Sekunden auf dem Boden  wie eine Ewigkeit vorgekommen seien und nachdem er die Schüsse  gehört, auch damit gerechnet habe,  erschossen zu werden. Einer der Männer sagte später im Wagen: „Ihr habt euer Leben als Geschenk zurückbekommen“. Unter sich hätten diese Männer hebräisch gesprochen. Sie fuhren dann auf einer Nebenstraße zur Arrabe-Kreuzung, wo sie aussteigen sollten. …

 

In dieser Woche sagte ein IDF-Sprecher auf Fragen von Haaretz: die hier erwähnten Behauptungen stimmten nicht. Am 17. April identifizierte eine Spezialtruppe der Grenzpolizei Ashraf Haneische südlich von Jenin. Er  sei ein ranghohes gesuchtes Mitglied des islamischen Jihad gewesen. Während der versuchten Verhaftung habe Haneishe eine Waffe gezogen und  auf die Soldaten gezielt, die dann auf ihn schossen und ihn töteten. Haneishe habe der islamischen Infrastruktur im nördlichen Shomrom geholfen. Diese Infrastruktur, die kürzlich  Selbstmordattentate innerhalb Israels auszuführen versuchte, arbeite mit den oberen Befehlsrängen der Organisation in Syrien zusammen. Diese Befehlsränge seien mit der Organisation und dem Management der Terrorinfrastruktur und der Geldbeschaffung beschäftigt …Haneishe sei einer von denen gewesen, die das Geld zwischen syrischen Kommandeuren und den lokalen Aktivisten transferiert habe…----

Auf mehreren Handys und auf einer Videokamera sieht man den toten Ashraf im Wagen, der den Toten zum Krankenhaus brachte; man kann das Loch im Kopf und in der Brust sehen…

„Warum töteten sie ihn  einfach so – den Vater von zwei Töchtern?“ flüstert Bassam. „einen Taxifahrer, wie konnte er plötzlich eine Waffe bei sich haben? Wer wird schon mit einem bewaffneten Taxifahrer fahren wollen?“

 

Der trauernde Vater, Shahada Haneishe, kann nichts  mehr empfinden. Einen Augenblick lang, habe ich das Gefühl, er bricht zusammen. Mit Schaum vor dem Mund schreit er: „Sie töteten ihn nur, weil er ein Palästinenser ist  - ohne einen Grund --- ohne einen Grund.“

 

(dt. und gekürzt: Ellen Rohlfs – nach den Behauptungen der IDF könnten die Aussagen eines Gefolterten dahinter stecken, der schließlich einen Namen nannte, ER)