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So sehen die Moderaten aus

 

Gideon Levy, 9.9.07

 

Chaim Ramon hat ein großes Come-back. Als ob er die hebräische Sprache  erneuern wolle, prägte er den Ausdruck „infrastrukturellen Sauerstoff“ – Israel solle Gazas infrastrukturellem Sauerstoff einen Schlag versetzen. Treu seinen Anregungen während des 2. Libanonkriegs – „es sei erlaubt , alles zu zerstören“ – ist er jetzt der Verfasser der Doktrin, dem Gazastreifen den Strom und den Brennstoff  abzuschalten und den Wasserhahn zuzudrehen. Ramon ist sehr stolz auf diesen dämonischen Plan: „Es ist das erste Mal, dass die Regierung diese Art von Vorschlägen diskutiert hat,“ sagte er. In seinen Augen ist der rechtliche Aspekt „halluzinatorisch“; es gibt keinen Unterschied zwischen der Hamas und Al-Quaida.  Und was geschieht, wenn dieses Abschalten von Strom und Wasser  in Gaza keine Wirkung zeigt? „Solange wir es nicht versuchen, solange werden wir dies auch nicht erfahren“, sagte der Minister dem Interviewer. Das heißt also, wir beteiligen uns an einen Experiment mit Menschen. Wie wir alle wissen, ist Ramon ein Vertreter der Zentrumspartei und wird als einer der Moderaten der Partei angesehen.

Die Außenministerin Zipi Livni ist auch eine Moderate. Sie unterstützt Ramons Doktrin. Sie sagt: es ist unvorstellbar, dass das Leben in Gaza normal weitergeht.“ Nach Ansicht der moderaten Außenministerin läuft das Leben im Gazastreifen „normal“ – es sieht so aus, als ob sie keine Vorstellung von der Realität des Lebens dort habe und dass ein Abstellen  von Strom, Wasser, Brennstoff kein Ende für die Qassems bedeutet. Die hungrige, durstige und dem Ersticken nahe Bevölkerung wird  Druck  ausüben – und hokus pokus wird es keine Qassams mehr geben.

Diese verrückten Ideen haben unter uns weniger Gegen-Argumente gefunden als die Vorschläge, dass Radfahrer einen Helmschutz tragen sollten. Die ganze Debatte wurde in würdiger Weise geführt: eine Person schlug vor, den Strom abzuschalten, während ein anderer vorschlägt, man solle den Vorrat von Zigaretten und Parfüm einstellen. Keiner war dagegen, keiner protestierte - das einzige, was wir tun müssen, ist die Stellungnahme des Rechtsberater abzuwarten, der entscheidet …Avigdor Liebermann, Shaul Mofaz und Avi Dichter sind überflüssig geworden: die Moderaten  machen die nötige Arbeit.

Der israelische Diskurs ist monströs geworden – und das Schreckliche daran ist, dass dies nicht mehr nur Vorschläge von bekloppten Randgruppen sind, sondern von Leuten aus dem Zentrum. Wie würden sich dann erst die Rechten verhalten: „Unter den Palästinensern gibt es keine Moderaten.“  Nun, es gibt keine moderaten Israelis – was uns betrifft, dann ist das Zentrum eine verkappte Rechte.

 

Wie es der Zufall wollte, ist gerade jetzt, als die Aufforderung kam, ein Kriegsverbrechen zu begehen,  Ende letzter Woche ein Bericht  von Human Rights Watch, einer anerkannten amerikanischen MR-Organisation, veröffentlicht worden. Der Bericht erwähnt die Beweise, dass  IDF-Offiziere  für Kriegsverbrechen im Libanon verantwortlich sind, und dass Israel das Völkerrecht schwer verletzt hat, indem es willkürlich Hunderte von Bürgern getötet hat. Ramon und Livnis Vorschläge haben nun den nächsten Bericht vorbereitet. Nach Erfüllung des Ramonplanes, wird der Aufruf zum Boykott Israels intensiviert werden und die Verantwortlichen  für das nächste Verbrechen  vor Gericht bringen.

 

Da kann es keine Debatte über legale Nuancen geben: absichtlich Leid über eine zivile Bevölkerung zu bringen, stellt ein Kriegsverbrechen dar. Und 40 Jahre Besatzung des Gazastreifens ist nicht zu Ende – sie hat nur ihre Form verändert. Aber Ramons Weg ist nicht nur illegal und unmoralisch, er ist auch ineffektiv. Wie lange glauben wir noch, dass eine Bevölkerung moderat ist, wenn sie nur immer geschlagen wird? Sind 40 Jahre bitterer Erfahrung nicht genug, uns beizubringen, dass das Gegenteil der Fall ist?

 

 

Eine andere Frage: Ist uns Gilad Shalits Schicksal teurer als das Schicksal der Kinder von Sderot? Warum ist es erlaubt mit der Hamas zu verhandeln, wenn es um Shalit geht, während die Option eines ähnlichen Gesprächs mit dieser Gruppe wegen einer Waffenruhe – der einzige Weg, um Sicherheit für die Kinder Sderots zu gewährleisten – als Häresie angesehen  wird? Die Eltern von Sderot sollten die ersten sein, die die Regierung zur Waffenruhe aufrufen sollte, statt die IDF in den Gazastreifen zu senden und Ramons irrsinnige Vorschläge auszuführen.

 

Wir sollten uns einen Augenblick an den im Juni 2006 erlebten letzten Stromausfall  erinnern.  Die israelischen Elektrizitätswerke schalteten für mehrere Stunden  den Strom ab – nur ein paar Stunden. Die Hölle war los. Die Telefonleitungen brachen zusammen, als Leute, die in Fahrstühlen festsaßen um Hilfe riefen; ein Bewohner von Ofakim, der an ein Beatmungsgerät angeschlossen war, kam in eine sehr ernste Lage. Können sich Livni und Ramon vorstellen, was es heißt, den „infrastrukturellen Sauerstoff“  tage- oder gar wochenlang abzustellen? Sind sie bereit, die Verantwortung zu übernehmen, wenn die Welt dazu Stellung bezieht und vielleicht sogar handelt. Mehrere  überführte Staatsmänner sitzen schon in den Gefängnissen von Den Haag.

 

(dt. Ellen Rohlfs)