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Das Gefängnis innerhalb eines Gefängnisses

 

Gideon Levy, Haaretz, 23.8.07

 

Synthetisches Gras symbolisiert die gute Erde, rote Badezimmerkacheln symbolisieren das vergossene Blut; sechs vernarbte Betonsäulen stehen für die Mauern und Zäune. Es ist naiv bis pathetisch. Aber warum sechs Säulen? „Sechs sind viele,“ erklärt der Direktor und Kurator Fahed Abu Al-Haj,  der selbst früher ein Gefangener war. …

Die Al-Quds-Universität in Jerusalem stellt das Abu –Jihad-Gefängnis für politische Gefangene vor. In andern Worten: die Palästinenser haben ihre eigene Version des Yad Labanim-Institutes – errichtet. ( isr.Gedenkstätte für die gefallenen Soldaten). Die Kosten  betrugen 850 000 $. Das Museum ist in einem stilisierten dreistöckigen Gebäude, das wie eine Kreuzung zwischen einer High-Tech-Firma und einem Gemeindezentrum aussieht. Es verbindet Naivität mit Raffinesse, Propaganda mit Dokumentation, ein Fahrstuhl aus Glas läuft ruhig zwischen den klimatisierten Räumen und dem eindrucksvollen Archiv in der 3. Etage.

 

Etwa 10 000 photokopierte und gebundene Briefe, die von Gefangenen in Israels Gefängnissen geschrieben wurden; Dokumente und Monumente, Kunst und Handwerk; eine

Kultur von Trauer und Verlust, Heldentum und Erinnerung – das palästinensische Narrativ und alles, was  mit den palästinensischen Gefangenen zu tun hat. Kein anderes Volk hat ein Viertel seiner Söhne und Töchter  im Gefängnis gesehen. Es gibt keine palästinensische Familie ohne einen Gefangenen und Verhafteten, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart . Und nun das Museum. Ein Ethos wird geboren.

 

Die arabische Stiftung von Kuwait gab das Geld dafür und das Museum wurde auf dem Campus der Al-Quds-Universität in Abu Dis neben Jerusalem gebaut. Es ist der einzige Campus der Welt, der hinter einer Mauer wie in einem Gefängnis liegt. Tatsächlich  sollte die Mauer ursprünglich  den Sportplatz des Campus abschneiden und nur dank der internationalen Verbindungen des Präsidenten Sari Nusseibeh wurde die Mauer etwas nach Westen verschoben. Nun ist der Sportplatz ein Teil des Campus, aber hinter der 8 Meter hohen Mauer aus Beton, die die Stadt in zwei Teile teilt.

 

Vom Museum, einem Gefängnis in einem Gefängnis, kann man von jedem Fenster über die Mauer schauen. Es ist täglich geöffnet außer am Donnerstag und Freitag von  8 Uhr bis 15 Uhr.  Der Eintritt ist kostenlos und Israelis werden herzlich eingeladen. Wenn man in diesem endlosen Sommer schon alles ausprobiert hat, so gibt es hier noch einen Vorschlag für eine Bildungsexkursion: das Abu-Jihad-Museum der politischen Gefangenen in Abu Dis.

 

Unser Rundgang beginnt draußen mit der Person, die sie als 1. palästinensischen Gefangenen betrachten – Jesus Christus. Wir gehen in den Garten hinunter und steigen dann ein paar Stufen hoch: rund herum sind Kakteen angepflanzt, die die Via Dolorosa darstellt, den Weg den  der Gefangene Jesus auf seinem Weg zur Kreuzigung gegangen ist. Dann überspringen wir 2000 Jahre direkt zur Betonmauer, einem Modell der „Apartheidmauer“, wie unser Guide sie beschreibt.

 

Überall Topfpflanzen. Die blühenden Kaktuspflanzen in Betontöpfen stellen die Betonklötze der Checkpoints dar. Der Sabra-Kaktus oder stachelige Feigenkaktus symbolisiert die palästinensische Geduld, was sich auf das arabische „sabra“= Geduld bezieht. Der Guide: alle Palästinenser sind gegenüber der israelischen Haltung ihnen gegenüber geduldig.“ Israel ist also nicht der einzige Ort, der propaganda-palavernde Guides hat. Das  sehr große Fenster in der Fassade des Gebäudes symbolisiert die Freiheit …Jeder Stein hat seine Bedeutung. Vor ein paar Monaten besuchte ich einen sehr ähnlichen Ort: das Apartheid-Museum in Soweto, Süd-Afrika. Derselbe Entwurf, dieselbe Botschaft.

 

Fotos in der Ausstellung: Schwarz-weiß-Aufnahmen von Verhaftungen. Israelische Soldaten benehmen sich rücksichtslos und schlagen, ziehen, boxen, fesseln, stoßen mit den Stiefeln, werfen, spucken.. Eine Karte zeigt die 27 Gefängnisse, Haft- und Verhörzentren, die jeder Palästinenser auswendig kennt .Die Zentralgefängnisse in Rot, die Verhörzentren gelb. Seit den Oslo-Verhandlungen wurden die meisten dieser Aktivitäten nach Israel verlagert – gegen die Genfer Konvention. Nur zwei Einrichtungen blieben in den besetzten Gebieten: in Ofra und Hawara.

 

Auf einem anderen Poster sieht man die 76 Methoden des Verhörs und der Folter: von wilden Schlägen bis zur „Shabah“ und der „Bananen-Folter“ die berüchtigten Haltungen – die den Gefangenen daran hindern,  einen Anwalt  zu treffen. Der Guide: Die Fotos zeigen die Einstellung (der Israelis gegenüber dem palästinensischen Gefangenen.“

 

Farbige Aufnahmen, die heimlich von Gefangenen aufgenommen wurden, zeigen das tägliche Leben , einschließlich einem Pingpongspiel und dem Stehen beim Appell. Ein Foto eines monströsen Haufens von Patronenhülsen von Tränengasgranaten, die gegen Gefangene geworfen worden waren, zeigt einen anderen Aspekt des Lebens hinter Gittern. Dann gibt es einen durchsichtigen Würfel mit einer Schlinge innen drinnen, der an 50 Palästinenser erinnert, die während des britischen Mandats exekutiert wurden . Der Abschiedsbrief von einem der Exekutierten, Fuad Hijawi, an seine Familie am 18. Juni 1930, könnte von unserm eigenen Museum für Untergrundgefangene stammen.

 

Und hier ist die Todesmauer: die Namen und Portraits von 220 Gefangenen, die in israelischer Gefangenschaft starben. Von Khalil Siyam aus dem Nuseirat-Flüchtlingslager, der nachdem er am 8.Juni 1967 gefangen genommen wurde, auch getötet wurde - also am 2. Tag der Besatzung, bis Jamal al-Sarahim aus Hebron, der an einer Krankheit im Gefängnis am 16. Januar 2007 starb – 40 Jahre später. Auf einer grünen Schiefertafel stehen die Namen der 64 Palästinenser, die länger als 20 Jahre im Gefängnis sind: von Saad al-Ataba  seit 29.6.77, der nun das 31. Jahr im Gefängnis sitz bis Khaled al-Jaidi aus Rafah, der seit Dezember 1986, also 21 Jahre im Gefängnis ist. „Wir müssen noch 10 andere Namen hinzufügen,“ sagt Abu al-Haj.

In winziger Schrift auf Briefpapier in zart pastellenen Farben sind hier Briefe von Gefangenen, die herausgeschmuggelt wurden. Der Verwaltungshäftling – ohne Verurteilung im Gefängnis – Imad Seva schrieb mir solche Briefe aus dem Meggidogefängnis, aber nun seh ich, dass diese Miniaturhandschrift, die mich so verwundert hatte, eine Gabe ist, die viele Gefangene haben. Die sich anschließende Ausstellung zeigt die winzigen Kapseln, in denen die Briefe herausgeschmuggelt wurden. „Aus der Mitte schrecklichen Leidens und der nicht endenden Pein, aus dem Ashkalon-Zentralgefängnis, möchte ich euch meine Lieben herzliche Grüße senden“, schreibt ein Gefangener an seine Familie. Das Original des Briefes, den Khalil al-Wazir – Abu Jihad -  aus Bagdad  in das israelische Gefängnis 1986 schmuggelte wird auch gezeigt. Zwei Jahre später wurde Abu Jihad von Israel in Tunis ermordet – und nun wird ein Museum nach ihm benannt.

An die vier größeren Hungerstreiks – noch ein Mythos von Heldentum und Wiederbeleben – in dem vier Gefangen starben, wird an der nächsten Wand  erinnert. Von Abd al-Qader-al Fahem aus Jabalya, der im Ashkalon-Gefängnis im Mai 1970 starb  bis zu Hussein Avidat aus Jerusalem, der im Oktober 1992 im  selben Gefängnis verhungerte. Der Guide Al-Haj nahm an einem Hungerstreik 1980 im Ber Sheva-Gefängnis teil. Er war 10 Jahre im Gefängnis von seinem 16.- 26. Lebensjahr. Er kam ungebildet hinein und kam besser ausgebildet heraus, sagt er. Zwei andere aus dem Kommando, Fahri und Naal Barghouti sind immer noch im Gefängnis.

Nirgendwo findet man im Museum ein Wort darüber, welches der Grund ihres Gefängnisaufenthaltes war. Schämen sie sich ihrer Taten? Der Name des berühmtesten augenblicklichen Gefangenen, Marwan Barghouti, ist auch nirgendswo zu lesen. „Er ist ein neuer Gefangener,“ erklärt der Direktor.

Gefängnistagebücher wurden ausgestellt, die in israelische Schulhefte geschrieben wurden, die im Gefängnis gekauft werden konnten. Diese handgeschriebenen Tagebücher legen die Eindrücke der Gefangenen dar, Zeile um Zeile über Erfahrungen von Verzweiflung und Leid. Manche von ihnen wurden später als Bücher veröffentlicht. „Der Hungeraufstand  hinter Gefängnismauern“ und „Intifadanächte im Gefängnis“ sind die Titel von zwei Büchern von Abu Al-Haj, dem Museumsdirektor. „Kranke Gefangene in der palästinensischen Realität“ ist der Titel einer anderen Broschüre, die vom Gefangenen Suleiman Al-Najab geschrieben wurde. Einige dieser Schriften sind gefangenen Palästinenserinnen gewidmet oder der gefangenen Mutter. …auch das berühmte 2005-Gefangenen-Dokument kann hier angeschaut werden – nun vergessen, als ob es nicht existiert hätte, wie alle anderen Dokumente des Friedens.

 

„Ich kenne das wirkliche Alter meine Mutter nicht“, schreibt der israelische Gefangene Walid Daka auf Arabisch, Englisch und Hebräisch in einem besonders auffallenden Werk, das mit Zeichnungen  von Vögeln geschmückt ist . Meine Mutter hat zwei Alter, das chronologische, das ich nicht kenne und das Haftalter, ein paralleles Alter, das sind 20 Jahre. Ich schreib ihr aus der parallelen Zeit …

Walid Daka ist seit 1986 im Gefängnis. Ich traf ihn einmal 2001 im Shata-Gefängnis. Seitdem sind weitere 7 Jahre vergangen. Daka wurde verurteilt, weil er an der Entführung und dem Mord am Soldaten Moshe Taman beteiligt gewesen sein soll. Wäre Daka ein Jude, der einen Araber umgebracht hat, dann wäre er schon lange entlassen worden. Dasselbe wäre auch, wenn er ein Jude wäre und einen Juden umgebracht hätte. Wenn er ein Palästinenser aus den besetzten Gebieten wäre, wäre er  jetzt wohl bei einem Gefangenenaustausch  frei gekommen. Aber Daka ist ein Araber aus Israel und niemand kümmert sich um ihn und seine Strafe. Nun hängt wenigstens sein Werk im Museum. …

 

(dt. und gekürzt: Ellen Rohlfs)