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In Darfur ist es besser

 

Gideon Levy, 14.9.07

 

Eine Staubwolke erhob sich über der Wüstenlandschaft. Ein weißer Jeep und ein weißer LKW kamen von den Hügeln herunter: der Hilfskonvoi des Internationalen Roten Kreuzes näherte sich. Ein Anblick wie in Darfur. Schweizer Nummernschild. Sie brachten Zelte, Decken,  Nahrungsmittel in Dosen und Haushaltsgeräte – genau wie in Darfur in ähnlichen Konvois.

 

„In Dafur ist es besser. Die ganze Welt interessiert sich für Darfur – für uns interessiert sich niemand,“ seufzt der ältere Schafhirte Abdul Rahim Basharat (Abu Saker). Es ist das 2. Mal, dass das Rote Kreuz in den letzten Tagen zu ihm gekommen ist. Zum 2. Mal wurde die Zivilverwaltung, die sich genau nach dem Gesetz richtet, hier - in der Mitte von nirgendwo - gesehen und  fuhren mit Bulldozern über das elende Zeltlager der Hirten und zerstörten alles.

 

Wer behauptet denn, dass Israel die illegalen Außenposten nicht räumt? Wer sagt denn, dass das Gesetz in der Westbank nicht gehalten wird? Schaut euch doch dies miserable Zeltlager an, das – nach dem Sprecher der Zivilverwaltung -  von „illegalen „Siedlern“ bewohnt wird, mit Dutzenden von Hühnern und barfüßigen Kindern, die herumrennen und hilflos nach einem Schutz vor der brennenden Sonne suchen – mitten in der Wüste im Hochsommer.

 

Ja, der Oberste  Gerichtshof hat vor langem bestätigt, dass dies „illegale Strukturen“ sind; ja, es wird alles genau nach dem Gesetz getan. Aber wie ist es mit der Gerechtigkeit? Wohin werden diese Hirten gehen, Menschen, die seit Jahrzehnten diese Gegend nutzen. Was für eine Art von gerichtlicher Verfügung ist es, die besagt, dass diese „illegale Siedler“ sind, während die (jüd.) Siedler rund herum als legale Bewohner angesehen werden? Was für eine Heldentat ist es, diese hilflosesten aller Leute zu evakuieren, anstelle  der gewalttätigen, knallharten Bewohner der illegalen  jüd. Außenposten, die sich auf jedem Hügel niederlassen?

 

Dies sind Fragen, die unbeantwortet in der Luft, am Wüstenrand des Jordantales hängen, auch über Humsa und Hadidja, zwei weit entfernt liegende Dörfer, wo diese Hirten Weideflächen für ihr Vieh suchen. Es ist die einzige Quelle ihres Lebensunterhaltes. Wie effizient doch die Besatzungsmaschinerie ist!! Nicht ein einziges Zelt kann  am Rande eines geschundenen und blutendenden Landes  vor ihnen verborgen bleiben.

 

„Ins Tal von Gilead / kommt ein schwarzes Lämmchen/ ein blökendes Mutterschaf schreit im Schafstall / Es ist sein kleiner Sohn / der verloren ging“. Schrieb Lea Goldberg. Wie wir doch die Hirten lieben! Dutzende von Liedern wurden über die Hirten und ihre Schafe geschrieben, die Freude unseres Lebens. Es gibt keinen anderen Beruf mit solch  romantischer Aura in unserer Mythologie hier. Aber keiner wird hier ein Lied über diese Hirten und ihre Herde schreiben. Goldbergs blökendes Mutterschaf hat jetzt nicht mal einen Stall.

 

Wir verlassen die leere Allonstraße und fahren hinunter auf eine unbefestigte Straße – eine Staubwolke hinter uns lassend. Wir fahren hinter einem Wagen des lokalen B’tselem-Mitarbeiter Attaf Abu Rob her. Junge Tiere  tummeln sich in der Nähe der Weingärten von Bekaot, einer Siedlung mit grüner Wiese mitten in der Wüste. Die Siedlung von Ro’i in der Ferne ist auch grün. Hier gibt es keinen Wassermangel.

 

Nach einigen Kilometern Sandpiste kommen wir am Lager der Basharat-Familie an: ein Trümmerhaufen. In der letzten Woche kam die Zivile Verwaltung noch einmal, konfiszierte einen Wassertank und einen Traktor, fast die einzigen Mittel zum Überleben, zerstörte die Zelte mit all ihrem Besitz. Nun liegen die Haushaltsgegenstände, die Matratzen und die Kinder  zerstreut unter dem Himmel. Hühner und Hunde drängen sich zusammen im Schatten des neuen Wassertanks, den sie hergebracht haben. Fünf Schafe sind schon vor Hitze  krepiert, ein paar andere tragende Schafe hatten Fehlgeburten.

 

Etwa 30 Menschen leben hier; die meisten sind vernachlässigte Kinder mit Rotznasen. Sie kommen aus Tammun, aber die Quelle und das Zentrum  ihres Lebens ist hier, wo die große Familie ihre 700 Schafe hütet. Im Sommer sind sie alle zusammen, im Winter sind die Frauen und Kinder in Tammun. Die Männer bleiben bei den Herden.

 

Wir sitzen im Schatten von alten Mehlsäcken, die über Stöcken befestigt  sind, ein Ersatz für die  zerstörten Zelte. Die Frauen sitzen eng hinter einem Vorhang, auch einem Mehlsack, zusammen. Es gibt keinen Strom, kein Wasser, keinen Abwasserkanal, keine Schule, nichts. Trotz ihres Lebensstils sind es keine Beduinen sondern palästinensische Hirten – auch wenn die Dokumente der allwissenden Zivilverwaltung manchmal etwas anderes behauptet. Abu Saker sagt, sein Vater sei hier geboren worden. Seit Jahrzehnten sind sie hier in dieser wüsten Gegend  Hirten gewesen. Wen stören sie denn – um Himmels willen?

 

Abu Saker: „sie wollen ein menschenleeres Gebiet. Sie wollen uns Leiden zufügen, damit wir gehen. Es ist ein Teil des Kampfes gegen die Palästinenser.“

 

Seit 1997 werden sie  von der Verwaltung hier verfolgt. Vorher versuchten sie sie in geschlossenen Lagern zu sammeln und so ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken; jetzt wollen sie sie  ganz vertreiben. Bis vor kurzem konnten sie noch über die Hügel nach Tamum gelangen. Nun haben die IDF  Gräben gegraben, dass die Traktoren nicht mehr hier entlang fahren können. Sie müssen nun einen Weg nehmen, der viermal so lang ist, einschließlich der Checkpoints, die nur denen erlauben, hierher zu kommen, auf deren Ausweis die Adresse im Jordantal angeben ist.

 

Am Donnerstag letzter Woche, etwa um 8 Uhr 30 kam  der Konvoy zum Zerstören an: ein Bulldozer, Jeeps, LKWs, die Zivile Verwaltung, die Armee – all die, die sich strickt an das Gesetz halten. Ohne ein Wort zu sagen, führten sie ihre widerwärtige Arbeit durch: innerhalb einer Stunde war keine Zeltstange mehr an ihrem Ort,  die Zelte, der Wetterschutz, der Schafstall  - alles war zertrampelt. Am Abend kehrte das Zerstörungsteam nach Hause. Was werden sie wohl über ihre Tagesarbeit erzählt haben? Dass sie Zelte zerstört haben? Dass sie unschuldigen Hirten Leid angetan haben? Dass sie das Gesetz eingehalten haben. Die Operation war erfolgreich.

 

Der Hirte Mustafa Basharat, ein Vater von sechs Kindern: „Gegen  was sollen wir Widerstand leisten? Wie sollen wir Widerstand leisten?. Haben wir eine Möglichkeit zu widerstehen?“ Sie saßen still dort und sahen, wie ihr Leben zerstört worden war. Das Zerstörungsteam war 10 Tage früher schon einmal da und wird wahrscheinlich wiederkommen. Sie nahmen den konfiszierten LKW und Wassertank auf ihren LKW. So bleibt – Gott bewahre - den Bewohnern kein Wasser mehr. Nur zwei winzige Bienenstöcke blieben  neben den Trümmern stehen. Vielleicht haben sie sie nur übersehen.

 

Die von der Sonne gegerbten Gesichter der Hirten  drückten Müdigkeit aus. Im Februar waren sie aus der Nähe von Hadija vertrieben worden und waren hierher gekommen, nachdem die Prüfung durch den Gerichtshof fehl geschlagen war. Eran Ettinger, ein ranghoher Vertreter des Staatsanwalts schrieb damals an das Gericht: „Die Entscheidungen des zuständigen Planungsinstituts  in der Sache dieser Strukturen waren auf Grund eines professionellen Planungsstandpunkts gemacht worden. Es gibt   diese Strukturen betreffend keine Möglichkeit der Intervention des geachteten Gerichts.“

 

Abu Saker hebt ein rostiges Metallstück vom Sand auf: „Ist  es dies , was sie Strukturen nennen?“

Ein durstiger  Esel stand angebunden in der Sonne. „Wo werdet ihr schlafen?“ fragen wir. „Hier“ „Wo ist hier?“ „Hier auf dem Boden.“

Wo sollen wir denn hingehen? Einen km nach dort oder dort? Wohin sollen wir mit den 700 Schafen?“

„Hast du daran gedacht, die Herde zu verkaufen, und wegzugehen?“ fragen wir. „Natürlich. Wenn uns die Regierung die Möglichkeit für eine Arbeit gibt, dann gehen wir. Aber wer wird uns nehmen? Wir haben nie etwas gelernt, wir sind Hirten. Wenn wir hier  so leben, dann nur deshalb, weil wir keine andere Wahl haben. Wer will schon unter diesen Bedingungen leben? Lebt jemand in Israel so? Aber  nicht einmal so wollen sie uns  leben lassen. Politik interessiert uns nicht. Wen gefährden wir denn hier? Gebt uns Nahrungsmittel, dass wir unsere Kinder ernähren können, dann geben wir euch unsere Herde. Es gibt keinen anderen Weg: entweder sind wir Hirten oder wir sind Diebe. Wenn wir unsere Herde verkaufen, ist das unsere einzige Chance. Aber wir wollen keine Diebe sein.“

 

Im benachbarten Lager sitzt Abdullah Bani Oudi und stützt sich auf seinen Stock. Er ist etwa 60 Jahre alt und beide Beine teilweise gelähmt. Nur mit Mühe kann er aufstehen. Seine Situation hat sich in den letzten Jahren verschlimmert. Er sitzt auf den Resten eines Plastikstuhles, den er aus den Ruinen gerettet hat. Sein Zelt war auch zerstört worden, genau wie das der Nachbarn.

 

Die IDF: Gerichtliche Verfügung, die Sicherheit (Judäa und Samaria) betreffend, No 378 1970. Die Zivile Verwaltung, die zentrale Einheit der Oberaufsicht. Warnung in Bezug aus Verpflichtung zur Evakuierung aus einer militärisch geschlossenen Zone. Ein Schafstall+ drei Zelte, ein Wetterschutz. Ein Traktor, ein Wassertank und ein Wagen.“

 

Der Sprecher der zivilen Verwaltung erwiderte gegenüber Haaretz: Die Strukturen, von denen dort berichtet wird, wurden illegal gebaut. Deshalb führte die Einheit der Oberaufsicht der Zivilen Verwaltung die Order zur endgültigen Zerstörung aus … Die Erfüllung der Zerstörungsorder gegen die illegalen Strukturen in Hadiya  sind sogar auf Bitten der lokalen Bewohner zweimal vom Gerichtshof untersucht worden. Die Positionen der Zivilverwaltung wurden akzeptiert.“

 

Das Grün der jüdischen Siedlungen rund herum irritiert, ja, macht sich über das elendigliche Leben dieser Leute lustig. Aus dem LKW des Roten-Kreuzes  wird den Flüchtlingen von Humsa  Hilfe der Welt angeboten und ausgeladen. Die Gruppe von Hirten beobachtet  gleichgültig, was dort vor sich geht. Die Schweizerin kontrolliert die Liste, der palästinensische Fahrer lädt die Matratzen aus und Zelte, einen Satz Kaffeetassen … Jeder hier weiß, dass in ein paar Tagen alles wieder zerstört sein wird.

(dt. Ellen Rohlfs)