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Ein merkwürdiges Ausland

 

Amira Hass, 14.2.07

 

Nun ist es offiziell: der Gazastreifen ist „Ausland“. Ab 1. Februar mussten die wenigen Israelis, deren Betreten des Gazastreifens von der Armee genehmigt wurde, einen Pass an der Erez-Grenzkontrollstelle vorzeigen. Sie wurden auf dem Computer des Innenministerium aufgelistet, dass sie die Landesgrenze überschritten hätten.

 

Der Gazastreifen ist in merkwürdiger Weise  „Ausland“. Israelis benötigen einen Pass, um dorthin zu gelangen und palästinensische Jerusalemer benötigen einen Passierschein, genau so einen, als wenn sie vom Internationalen Ben-Gurion-Flughafen nach Paris fliegen würden. Aber wenn dieselben Jerusalemer Bürger über die Allenby-Brücke nach Jordanien gehen, benötigen sie einen Jordanischen Pass. Und die Palästinenser, die in diesem „Ausland“ leben – die Bewohner von Gaza  - sind vorläufig ausgenommen, mit einem palästinensischen Pass die Grenze zu überqueren. Diese Ausnahme gilt auch für Bewohner der Westbank – auf Befehl des ( isr.) Innenministers.

 

Die verwirrende Vielfältigkeit von Prozeduren ist im Lichte der Tatsache  noch bemerkenswerter, als Israel nur wenigen erlaubt, den Gazastreifen zu betreten oder zu verlassen. Nur eine kleine Anzahl von Israelis erhält die Genehmigung – hauptsächlich die mit Verwandten in Gaza oder Leute, vor allem Frauen, die seit Jahren  mit Bewohnern des Gazastreifens verheiratet sind . Um einen Passierschein zu bekommen, ist es eine vorherige Koordination erforderlich, die sehr kompliziert ist und die tagelang dauert, bis der Antrag für einen Passierschein oder eine verlängerte Aufenthaltsgenehmigung eine Fax-Zeile ohne ein Zeichen des „Büros für israelische Angelegenheiten“ sich in der zivilen Verwaltung  findet . Dies ist eine militärische Körperschaft, der der Innenminister die Vollmacht erteilt hat, den Grenzübergang weiter zu betreiben.

 

Den etwa halben Kilometer zu durchlaufen, der die palästinensische Seite von der israelischen

Seite trennt, benötigt weitere Koordination per Telefon und stundenlanges Warten, bis die Soldaten oder Angestellten auf der israelischen Seite den Passierscheinbesitzern erlauben, durchzugehen . Aber es ist nicht das, was die Merkwürdigkeit des Gaza-„Auslandes“ so einzigartig macht. Viele wird dies nur an die Schwierigkeiten erinnern, die totalitäre Regime bei Reisen zwischen Ländern im östlichen Europa bereiteten.

 

Das „Ausland“ von Gaza ist vor allem aus einem anderen, fundamentaleren Grund so seltsam:

Alle seine Bewohner sind in demselben Bevölkerungsregister registriert wie die Bewohner der Westbank, das kein „Ausland“ ist , und das ganze Register wird vom israelischen Innenministerium kontrolliert. Diese Kontrolle gibt dem Vertreter des Innenministerium in der Zivilverwaltung die Autorität, die der palästinensische Innenminister nicht hat. Diese Kontrolle erlaubt Israel, hundert Tausenden von Palästinensern ihren Wohnrechtstatus nach 1967  zu nehmen. Dies erlaubte die Fortsetzung der familiären, sozialen, wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Verbindungen zwischen dem Gazastreifen und der Westbank bis 1991 – und  diese dann auf einmal zu trennen. Diese Kontrolle erlaubt Israel, jede Zuwanderung ausländischer Bewohner zum Bevölkerungsregister zu verhindern. Es erlaubt Israel mitzumischen und zu entscheiden, wenn es sich um den Ehepartner, den Studienort, die Art der medizinischen Behandlung, die Adresse, das Zusammensein mit den Kindern, die Teilnahme an Familienfeiern und Beerdigungen, das Schreiben des letzten Willens und die Aufteilung des Besitzes handelt. Israel hat die Autorität, den Eintritt von Freunden oder Familienmitgliedern, die keine palästinensischen Bewohner sind, zu verbieten – und zwar nicht nur nach Israel, sondern auch in die Westbank und den Gazastreifen. Seit Oktober 2000 gilt das Verbot umfassend.

 

Nur die Palästinenser, die im israelischen Computersystem erfasst worden sind, können am Rafah-Terminal einreisen, wenn er offen ist. Israel hat die Autorität, den Bewohnern  von Gaza die Fahrt in die Westbank zu verbieten oder dort zu leben und tut dies mit wachsendem Eifer seit 1991, als es mit der Absperrungspolitik begann. Das ist das Ausland, für das Israel einen Pass für die Einreise fordert. Dies ist das Ausland, für das Israel behauptet, keine Verantwortung zu haben. Und das ist die Größe von Israels Besatzung:  Es gelingt ihm zu behaupten, dass sie – die Besatzung - nicht-existent sei, während seine Behörden überall das Sagen haben, ja  bis ins Schlafzimmer hinein.

 

Nein, dies soll keine Empfehlung sein, einen weiteren einseitigen Schritt zu unternehmen und die Menschen im Gazastreifen aus der palästinensischen Bevölkerungsregistratur zu streichen, das unter israelischer Kontrolle ist – zusätzlich zu der geographischen und menschlichen Trennung. Im Gegenteil! Für Israel wäre es  besser, weiter in den Schlafzimmern herumzuschnüffeln, als einen Schritt zu unternehmen, der schließlich die Trennung zwischen den Bewohnern des Gazastreifens und ihren Brüdern in der Westbank vollendet.

 

Es gibt Gründe, die besorgt machen. Eine Maßnahme wie das Auslöschen der Bewohner aus der Bewohnerregistratur würde zum Denkprozess passen, der Israels Politik , den Gazastreifen seit 1991 betreffend, charakterisiert. Während der letzten 16 Jahre ist den Bewohnern des übervölkerten 360 qkm Streifens befohlen worden, sich an eine Wandlung zu gewöhnen, in der eine Art isolierte autarke Wirtschaft besteht und mit dem wenigen, das sie produziert, zurecht kommen muss: immer weniger und immer mehr kontaminiertes Wasser; immer weniger Land; immer weniger Einnahmen; Industrie und Landwirtschaft ohne Markt; immer schlechtere Bildungs- und Gesundheitsinstitutionen – und das dank ihrer Isolierung von der Außenwelt und der Westbank.

 

Der Gipfel dieser Politik war bis jetzt die Evakuierung der  jüd. Siedlungen 2005. Es ist eine Politik, die dem Osloabkommen widerspricht, das den Gazastreifen und die Westbank als eine territoriale Einheit betrachtet und auch den internationalen Resolutionen über die Lösung für einen Frieden widerspricht. Aber das Evakuieren von ein paar tausend Siedlern aus dem Streifen wurde erfolgreich als israelische Beruhigung, als ein positives Zeichen vermarktet, selbst als es alle Kontrollmethoden in der Westbank verschärfte. Israel ist auch verantwortlich (?) für das Löschen der Namen der Gaza-Bewohner aus dem Bevölkerungsregister und wird dies als eine Geste des guten Willens verkaufen. Aber solch eine Maßnahme würde zum einen nur das menschliche Elend von Gazas 1,4 Millionen Bewohnern  verschlimmern und  auch die Trennung von der Außenwelt verstärken.

Dies ist dann ein erprobtes Rezept, um ein vernünftiges Friedens-Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern auf Distanz zu halten .

 

(dt. Ellen Rohlfs)