Israel-Palästina
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Elias Chacour ist seit Februar 2006
Erzbischof von Galiläa. |
"Wir sind privilegiert,
zusammenzuleben"
Interview mit Elias Chacour
Im Jahr 2001 war er "Mann
des Jahres" in Israel, dreimal wurde er für den Friedensnobelpreis
vorgeschlagen und ein Film widmete sich ihm unter dem Titel: "Prophet im
eigenen Land". Elias Chacour, 1939 in Galiläa in
eine palästinensische Familie geboren, studierte Theologe in Paris und später
als erster Araber die Tora und den Talmud an der Hebräischen Universität in
Jerusalem. Vom Frieden in seiner Heimat ist der heutige Erzbischof von Galiläa
fest überzeugt.
Israel hat seit einigen Tagen erstmals
in seiner Geschichte einen arabischen Minister. Hat Sie die Ernennung von Raleb Madschadele überrascht?
Das ist natürlich ein sehr positiver Schritt, von dem ich aber nicht überrascht
wurde. An Weihnachten waren zahlreiche Minister des israelischen Kabinetts bei
mir in Haifa und Verteidigungsminister Amir Peretz
hat mich gefragt, was ich davon halte, einen Araber zum Minister zu machen.
Was haben Sie ihm geantwortet?
Dass das kein taktischer oder propagandistischer Zug oder eine leere
Versprechung der Regierung sein darf. Nur wenn ein arabischer Minister auch
politische Relevanz bekommt, kann er die Integration der arabischen Bürger in
Israel voranbringen.
Madschadele ist Minister ohne Geschäftsbereich…
…und genau hier muss jetzt schnell der nächste Schritt erfolgen. Wenn die
Ernennung Madschadeles, die auf die Initiative der
Arbeitspartei zurückgeht, zum Hintergrund hat, bei der nächsten Wahl die
Stimmen der Araber für die Arbeitspartei zu gewinnen, ist er bereits
diskreditiert. Es muss daher rasch transparent werden, welche politische
Kompetenz, Autorität und Zuständigkeit Madschadele
hat.
Amir Peretz,
der Chef der Arbeitspartei, sagte, er sei davon überzeugt, dass Madschadele eine Lücke in der israelischen Gesellschaft
schließen kann.
Dazu kann er eben nur beitragen, wenn er politische Handlungsmöglichkeiten
bekommt und mithelfen kann, Diskriminierungen gegen die palästinensischen
Araber in Israel abzubauen und an der Verbesserung ihrer Bürgerrechte mitzuwirken.
Welche Relevanz hat die Ernennung eines
arabischen Ministers in Israel für die Araber in den besetzten Gebieten?
Keine. Wir müssen klar trennen zwischen den Arabern in Israel und denen, in den
besetzten Gebieten. Die Araber in Israel sind Bürger dieses Landes, und sie
sind stolz darauf. Aber ihnen gehrt es darum, als vollwertige Bürger dieses
Landes leben zu dürfen. Die Araber in den besetzten Gebieten haben keine
Bürgerrechte. Das einzige Recht, das sie haben, ist Kinder zu zeugen. Ihr Ziel
ist ein ganz anderes: die Befreiung von der Besatzung.
Nach den jüngsten Entwicklungen in den
Autonomiegebieten hat man den Eindruck, dass die Rivalitäten zwischen Fatah und
Hamas so groß sind, dass die Palästinenser am Rande eines Bürgerkriegs stehen.
Natürlich gibt es Gegensätze zwischen Hamas und Fatah. Aber schauen Sie sich
an, wo die Ursachen sind. Israels Politik hat doch die Hamas erst
hervorgebracht, israelische Siedlungen in den besetzten Gebieten wirken wie
Geschwüre und der Mauerbau erweckt den Anschein einer Apartheidpolitik. Israel
soll einfach in Israel bleiben, dann kann auch die Zwei-Staaten-Lösung
realisiert werden. Davon sind wir allerdings derzeit weit entfernt. Die Gewalt
entsteht, weil keine Rechtsprechung und Gerechtigkeit da ist.
Wird Frieden überhaupt möglich sein?
Ja, absolut.
Was macht Sie da so sicher?
Die geschichtliche Erfahrung. Seit Jahrhunderten haben Juden gleichberechtigt
in arabischen Ländern gelebt. Heute geht es daher nicht um die Frage, ob wir
zusammenleben können, sondern darum, ob wir zu dem zurückkehren können, was uns
die Geschichte gelehrt hat. Wenn alle Seiten ihren modernen Fanatismus
aufgeben, können wir auch wieder dies normale Zusammenleben erreichen, wie es
seit Jahrhunderten normal gewesen ist. Israel ist nicht integriert im Nahen
Osten, und es ist an der Zeit, dass deutlich wird, dass Israel ein Teil des
Nahen Ostens ist. Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen sind seit Tausenden von
Jahren hier und erheben alle Anspruch auf das gleiche Land. Sie müssen erkennen:
Das ist unser gemeinsames Land.
Was bedeutet das praktisch?
Dass wir uns als Ziel die Verwirklichung einer säkularen Demokratie setzen, in
der jeder frei ist, seine Religion zu leben.
Eine wunderbare Vision, die leider wie
eine Illusion klingt…
Es gibt so viele Ansätze und Bemühungen und Gespräche, um dieses Ziel zu erreichen . Nehmen Sie nur die Mar
Elias Universität, die erste arabische Hochschule in Israel. Dort studieren
israelische Christen, Muslime und Juden, aber auch Studenten aus anderen
Ländern und leben vor, wie Völkerverständigung zwischen Bevölkerungsgruppen
funktionieren kann. Das Bewusstsein wächst, dass wir nicht dazu verdammt sind,
miteinander zu leben, sondern dass wir privilegiert sind, zusammenzuleben. Das
habe ich sehr persönlich erlebt. Ich bin ein stolzer Palästinenser, ein Araber,
ein Christ und ein Bürger des Staates Israel. Lange Zeit habe ich in dem
Bewusstsein gelebt, dass ich mit vielen Gegensätzlichkeiten in meiner Biografie
zurechtkommen muss. Mittlerweile weiß ich, dass das keine Gegensätze sind,
sondern alles für mich gleichrangig von Bedeutung ist.
Welche Bedeutung kommt den Christen in
Israel zu?
Bei den staatlichen Autoritäten setzt sich immer mehr die Bereitschaft und
Überzeugung durch, dass die Christen als Moderatoren im Dienst der Versöhnung,
als Brückenbauer wirken können. Ich erwähnte ja das Treffen an Weihnachten mit
Ministern: Solche informellen Kontakte gibt es sehr viele, und sie können sehr
viel bewegen. Die Minister kommen nicht einfach vorbei, um einmal nett `Hallo’
zu sagen. Sie kommen, weil sie sich ganz konkret politischen Rat suchen. Das
hat vielfältige Auswirkungen auf das alltägliche Zusammenleben.
Christen sind im Heiligen Land eine
Minderheit. Wie wichtig ist die Solidarität von außen?
Das Bewusstsein, einer großen weltweiten Gemeinschaft anzugehören, ist enorm
wichtig und stärkend. Natürlich auch in materieller Hinsicht. Dabei kommt es
aber immer darauf an, den Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe zu beachten. Das
heißt beispielsweise, dass wir nicht wollen, dass Deutschland uns eine Schule
baut, sondern, dass wir mit deutscher Hilfe eine Schule bauen können. Ich hoffe
daher auch auf den Tag, an dem wir gemeinsam zusammensitzen und überlegen, was
wir nun gemeinsam für Länder in der Dritten Welt tun können.
Würde ein Besuch von Papst Benedikt
XVI. in Israel die Situation verbessern? Plant der Papst eine Reise ins Heilige
Land?
Das müssen Sie ihn selber fragen, aber es ist derzeit überhaupt nicht absehbar.
Ein Papstbesuch macht nur dann Sinn, und der Heilige Vater hat es mir selbst
gesagt, wenn er nicht einfach als Besucher und Pilger kommt, sondern auch
Ergebnisse zu erwarten sind. Das heißt, dass das Konkordat zwischen Israel und
dem Vatikan unterschriftsreif sein muss, dass die Rechte der Christen in Israel
ebenso geklärt sind wie die Eigentumsfragen der Katholischen Kirche. Auch
praktische Dinge wie die Arbeit von ausländischen Ordensleuten und Priestern in
Israel müssen geregelt sein.
Gestatten Sie mir abschließend eine
sehr persönliche Frage: Sie sind Erzbischof von Galiläa und somit für das
Gebiet verantwortlich, aus dem Jesus Christus stammt. Was bedeutet das für Sie?
Ich bin tatsächlich der einzige Bischof in der Katholischen Kirche, der von
sich sagen kann, dass Jesus und dessen Jünger zu meiner Diözese gehören. Und
manchmal kann ich nachts nicht richtig schlafen, weil ich von der Tatsache
überwältigt werde: Gott, du hat mich in diese Region, in die Heimat Jesu
gestellt. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl, ein Gefühl, wie es eigentlich
für die Mentalität aller Christen in dieser Region prägend ist. Denn wir leben
aus dem Glauben und in dem Bewusstsein, dass Christus wirklich bei uns ist,
dass er jeden Tag da ist und nicht vor 2000 Jahren hier war. Was sind schon
2000 Jahre?
Das Gespräch führte Constantin Graf von
Hoensbroech