Israel-Palästina Nahost Konflikt Infos

 

Vom Checkpoint zur Mauer ins Ghetto

Die rote Linie um Qalqilia

Fabian Köhler, z.Zt. Ramallah

fabik am Freitag, 18. Mai 2007, 15:46 Uhr

 

Im Argile-Café gegenüber der alten verrosteten Tankstelle, unweit des Arafat-Gedenksteins sitzen Abend für Abend ein halbes Dutzend zwanzigjähriger Studenten und erwarten, die Augen apathisch auf den wackelnden Hintern Shakiras gerichtet, das tägliche Fußballspiel der Primera División. Zwischendurch stören ein paar lärmende Kinder den Männerabend, welche aber umgehend von einer Gruppe älterer, Karten spielender Männer hinausbefördert werden. Nur einmal pro Woche gibt es etwas Abwechslung - dann wenn ein blasser Ausländer sich stumm in die hinterste Ecke setzt und mit gleicher Apathie auf die Tasten seines Laptops starrt. Diesmal schreibt er von Qalqilia, einer kleinen 40.000 Einwohner-Stadt im Nordwesten Palästinas, 15 Kilometer entfernt vom Mittelmeer.

 

Eigentlich ist Qalqilia nichts Besonderes. Eine kleine nette überwiegend von Flüchtlingen bewohnte Stadt, über die es kaum etwas zu schreiben gäbe, würde dieser winzige blasse Klecks auf Landkarten nicht vollständig von einer dünnen roten Linie umrandet sein -der Mauer. Unser Ziel gilt aber in erster Linie Ahmad, den wir dort besuchen wollen. Doch ziemlich schnell merken wir, dass man in dieser Stadt einfach nicht drumherum kommen wird, die Auswirkungen dieser acht Meter hohen grauen Betonwand und die Perversität der israelischen Besatzung zu spüren.

Die erste Nacht verbringen wir im Haus von Ahmads Eltern. Sein Vater war früher, (das palästinensische Synonym für diese Zeit vor der Intifada) im Import/ Export tätig.

 

Einer dieser typisch arabischen nichts sagenden Berufsbezeichnungen , die wie Muhandis (Ingenieur) anscheinend jeder zweite Mann schon mal betrieben hat, die einem aber offensichtlich zu einem dreistöckigen Wohnhaus inklusive 30 m2 Küche verhelfen können. In einem der vielen Zimmer vegetiert friedlich die sterbende Großmutter vor sich hin, während wir im Nachbarzimmer, in breiten Ohrensesseln sitzend, höflich Floskeln austauschen. Zwischen Mohammad und Ahmads Vater entbrennt wieder einmal eine der innerpalästinensischen Standard-Diskussionen darüber ob Fatah und der Friedensprozess der 90er nun Unterwerfung oder einen funken Hoffnung bedeuteten.

Und so haben Ahmad und ich Zeit uns die Stadt und das Geschäft seines Vaters, wo er nun (also nach der Intifada) Porzellan-Kitsch und Trockenblumen verkauft anzuschauen. Während mir Ahmad die Terrasse zeigt, die die ehemals “beste Möglichkeit zum Steine werfen in ganz Qalqilia” bietet, kommt sie nun wieder - eine dieser Geschichten, die man fast täglich hört und trotzdem jedes Mal wieder ungläubig nachfragt. Er erzählt mir davon wir er dort unten im Eingang als hyperaktiver 8-jähriger Steine auf israelische Panzer warf, bis schließlich ein israelischer Soldat auf ihn zu lief um ihn ins Knie zu schießen. Nun sind diese Geschichten in Qalqilia nicht aufregender oder tragischer als anderswo, das besondere ist aber, dass hier anscheinend jedes Haus, jede Gasse und jeder Mensch seine eigene Geschichte zu erzählen hätte.

 

Eine weitere dieser Geschichten offenbart das Haus Tha’irs, in dem wir unsere zweite Nacht verbringen. Da ist diese geriffelte grau-schwarze Rille die sich vor der Eingangstür, in das Marmor gebrannt, entlang schwingt. Die ist von der Zündschnur, erzählt mir Tha’ir wie selbstverständlich, als neulich Nacht plötzlich die Tür explodierte und ein Trupp israelischer Soldaten wild brüllend mit vorgehaltenen Waffen im Wohnzimmer stand.
Oder da ist dieses riesige Eisentor, welches einfach im Nichts, bzw. im Vorgarten endet. Wo Katja sich nun daran versucht ein paar Askadinias von den Bäumen zu angeln, stand bis vor ein paar Jahren noch eine Garage. Bis ein israelischer Hubschrauberpilot auf die Idee kam mittels Rakete Platz für mehr Askadiniabäume zu schaffen.

Und da ist diese luxuriöse Einrichtung, diese vielen unbewohnten Zimmer, diese teuren mit Folien abgedeckten Möbel, was mir etwas zu viel für einen mitte-zwanzig-jährigen Psychologie-Studenten erscheint. Die Bilder von dem fremden Mann an der Wand geben schließlich Aufschluss darüber, dass dieses Haus einmal Taysir Quba’a, der ehemaligen Nummer drei der PFLP, welche bei uns vor allem durch ihre Flugzeugentführungen bekannt wurden, gehörte. Taysir Quba’a flüchtete vor einigen Jahren vor der israelischen Armee nach Jordanien, während sein Schützling Tha’ir wohl nicht allzu unzufrieden darüber war, das Haus hüten zu dürfen.

 

Natürlich ist Qalqilia auch eine lebendige arabische Stadt, mit überfüllten Einkaufstraßen, einem kleinen Zoo und Schwimmbad aber trotzdem sind es vor allem die Mauer und Soldaten, die den Alltag der Menschen bestimmen. Kaum einer traut sich näher als 20 Meter an die Mauer heranzukommen, die stellenweise direkt an die Wohnhäuser grenzt, da gelegentlich Granaten über die Mauer geflogen kommen oder aus den kleinen Spalten der Wachtürme plötzlich geschossen wird. Nach 22 Uhr scheint die ganze Stadt wie ausgestorben zu sein. Nicht weil die Menschen kein Bedürfnisse nach Abendgestaltung hätten, sondern weil nun die Zeit der israelischen Razzien, patrouillierender Militärjeeps, aufgesprengter Türen und Massenfestnahmen beginnt.

Dass dies nicht nur die aufgebauschte Geschichte paranoider Palästinenser für sensationslustige Touristen ist, merken wir gegen ein Uhr Nachts auf dem Rückweg einer dieser obligatorischen Argile-Abende. Wie wir so einsam durch die Straßen fahren, fängt es in ein paar hundert Meter vor uns plötzlich an zu lärmen, während sich am Himmel allerlei dicke und dünne, bunte und weiße Streifen auf uns zu bewegen. Ahmad beginnt hysterisch “Israeli Israeli” zu schreien, worauf wir mit quietschenden Reifen in die nächste Toreinfahrt einbiegen. Aber erst als ich zum ersten mal miterlebe, dass auch Palästinenser in Panik verfallen können, wird klar das dies keine dieser kleinen alltäglichen Schießereien wie in Ramallah ist. So schreit schließlich jeder irgendwas, Katja: “oh my god, oh my god”, Ahmad: “get out of the f…… car”, Mohammad fordert lautstark zum rennen auf und wir sind alle nicht ganz unglücklich darüber, dass fünf Meter vor uns unser Haus mit seinen dicken Eisentüren liegt.

 

Am frühen Morgen fahren wir schließlich wieder zurück nach Ramallah. Der Auspuff fällt ab, in einer viertel Stunde fängt die Arbeit an, während vor uns aber noch eineinhalb Stunden Autofahrt liegen. Kaum fünf Minuten hinter dem Checkpoint sind wir nun wieder in diesem friedlichen Palästina mit seinen nebelig grünen Berghängen, dem Blöcken der Schafherden, die einem störrisch die Weiterfahrt versperren. Doch Auspuff und Arbeit sind bedeutungslos und diesmal will es auch irgendwie nicht gelingen sich mit Kopf im Wind der palästinensischen Idylle hinzugeben. Selbst diese einmalige Landschaft schafft es heute nicht mehr dem Eindruck von Qalqilia etwas entgegen zu setzen.

 

Wenn ich zu Anfang schrieb Qalqilia läge nahe des Mittelmeers, dann gilt das für mich und die paar anderen Europäer die sich nach Qalqilia verirren. Doch für die Bewohner Qalqilias ist es einfacher die Südsee zu erreichen, als diese 20 km bis zur israelischen Mittelmeerküste zu überbrücken. Qalqilia ist die Prophezeiung dessen, was in einer ungewissen Zukunft einmal Republik Palästina genannt werden wird. Ein Ort, in der dein Wochenendpicknick, deine Abendgestaltung, dein Alltag, dein Leben abhängt von der Willkür 20-jähriger Wehrdienstleistender. Eine Ansammlung von ummauerten Ghettos, in denen die unzähligen Kameras entlang der Mauern, keine Menschen mehr sondern nur noch potentielle Sicherheitsrisikos auf die israelischen Überwachungsmonitore projizieren und in denen es selbst die Nachrichten über die Toten nicht mehr schaffen die Welt außerhalb der Mauern zu erreichen.

 

Der Apfeltabak ist lange aufgeraucht. Die Studenten sitzen lachend mit am Tisch der alten Männer und spielen Karten. Barcelona und Betis trennten sich mit einem friedlichen 1:1 und auf dem Großbildfernseher läuft wieder “Melody Arabia”. Vor eineinhalb Monaten kam dieser blasse Junge mit seinem Laptop voller Enthusiasmus nach Palästina um das Land zu erkunden, interessante Menschen kennen zu lernen und den Konflikt zu verstehen. Der Enthusiasmus ist langsam vergangen, stattdessen sitzt er nun traurig hinten in seiner Ecke und schreibt resignierende Berichte. Da hilft selbst der wackelnde Hintern Shakiras nicht mehr.