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Vom Checkpoint zur Mauer ins Ghetto

Teil 1: Roadtrip nach Nablus

Fabian Köhler, z.Zt. Ramallah

fabik am Donnerstag, 10. Mai 2007, 3:03 Uhr

 

An den Straßenrand stellen und mit der Hand zum Boden zeigen. Obwohl, eigentlich ist dies schon überflüssig, da sowieso jeder Taxifahrer erst einmal hupend annimmt man möchte mitfahren, solange man keine verneinende Geste macht. Dem Vordermann auf die Schulter klopfen, etwas Geld in die Hand drücken. Er fragt „wahid?“ (eins), ich sage „la ithnan“ (nein, zwei). Der Vordermann gibt es weiter an den Taxifahrer, welches auch wenn fünf Leute gleichzeitig bezahlen erstaunlicherweise immer den Überblick behält wer wie viel zurück kriegt. In Ramallah aussteigen und jemanden fragen von wo die Busse nach dortunddort fahren. Dortundort hieß diesmal Nablus und eigentlich ist die ganze Geschichte völlig gelogen, denn Freund Osama holte uns in Bir Zeit ab und lud uns zu einem Wochenendausflug in seine Heimatstadt ein.

Wir steigen in den bereitstehenden gelben Minibus und fahren auf der Ramallah-Nablus Road über die grünen Hügel Palästinas Richtung Nablus. Neben mir stellt sich zum x. Mal jemand als Mitarbeiter einer NGO vor, fragt mich woher ich komme, was ich mache, wie lange ich noch bleibe. Doch ich will eigentlich nur den Kopf in den Wind halten, mir die Sonne ins Gesicht scheinen lassen und die unzähligen grünen Berghänge mir ihren kleinen verstreuten Hütten, die knochigen Olivenhaine und den buckeligen alten Mann mit seiner Schafherde beobachten. So fahren wir und fahren und mein selbstverordnetes Schwelgen für die palästinensische Idylle wird nur ab und zu unterbrochen von den Fragen meines etwas aufdringlichen Mitfahrers nach meinem Beziehungstand, wie ich es mit Gott halte oder wie mein Eindruck von Palästina sei. Und so tue ich was ich immer tue, wenn ich gerade keine Lust habe zu reden. Ich gebe vor müde zu sein und nun schlafen zu wollen bis ich schließlich tatsächlich einschlafe.

 Ich wache auf und wie wenn man mit zwölf Jahren nach einer Jurassic-Park Vorstellung sich wundert warum plötzlich die Welt außerhalb des Kinosaals völlig ohne Velociraptoren ist, brauche ich auch ein paar Sekunden bis mir klar wird das die Fahrt durch Palästina vorbei ist und wir wieder in den besetzten palästinensischen Gebieten angekommen sind. Vor uns breitet sich ein Meer aus Taxis, Minibussen und Menschen aus, dazwischen laufen kleine schmutzige Kinder und verkaufen unter der Mittagssonne Sonnenblumenkerne, Sonnenbrillen und Sonnencreme. In ein paar kleinen Minikiosken gibt es Siedlungscola und israelische Schokoriegel, während vor uns Huwwara, einer der größten Checkpoints Palästinas liegt. Bereitwillig laufen wir vorbei an Wachtürmen, durch vergitterten Gänge, passieren Drehtüren, während sich auf der anderen Seite das gleiche Bild, von endlosen Taxireihen und wartenden Palästinensern ergibt.

 

Wir nicken einem der heraneilenden und herumschreienden Taxifahrer zu, der uns schließlich zur Al-Najah, der mit 17.000 Studenten größte Universität Palästinas, bringt. Dort angekommen geschieht wieder eine dieser kleinen Besonderheiten, die einem vielleicht nur in arabischen Ländern widerfahren und die es einfach unmöglich machen sich hier nicht sofort wohl zu fühlen. In Erkennung unserer Hellhäutigkeit ruft der Wachmann uns zu sich, bietet Kaffee und Stühle an, während er hektisch ein Telefonat nach dem anderen führt, Leute zu sich her winkt, ihnen kurz etwas zuschreit bis sie rennend wieder verschwinden. Nach zehn Minuten offenbart sich dann der Grund seiner Hektik. In Würdigung unseres Besuches hat er schnell ein Besucherprogramm organisiert. Während wir anderswo nun wahrscheinlich durch leere Gänge streifen und hilflos nach der Cafeteria suchen würden um uns schließlich gelangweilt auf irgendeiner Bank in einer verlassenen Ecke des Campuses niederzulassen, führt uns unser persönlicher Guide Sana zu diesem Professor, jenem Sonderbeauftragen und NGO-Mitarbeiterin soundso. Auf dem Campus wird unter dessen mit einem Meer von grünen Wimpeln und Fahnen die Hamas-Abschluss-Party für graduierte, zu meist alternative Geisteswissenschaftler vorbereitet. Ein paar Hundert Meter entfernt auf Campus Nr.2 spielt sich das gleiche in gelb, also in Fatah-Farben ab. Wie selbstverständlich antwortet Sana auf die Frage zu welcher Veranstaltung sie gehen wird „natürlich Hamas“, Fatah sei ihr einfach zu langweilig. Da dieser Meinung viele zu seien scheinen, stehen vor der mit Bilder Arafats dekorierten Fatah-Bühne auch lediglich ein paar Reihen verwaister weißer Plastikstühle, in der Hoffnung der ein oder andere schnöde Jura- oder BWL-Student würde sich vielleicht doch noch hierher verirren.

Nach einer verspäteten Mensa-Mittagsfalafel, halten wir wieder die Hand raus und fahren in die Nabluser Altstadt. Und wie wir dort die Gassen entlang laufen, kommen mir die Dinge, die ich zuvor über diese Stadt zuvor gelesen habe, ziemlich fremdartig vor. Nichts erinnert daran, dass dies einmal das „logistische Zentrum des palästinensischen Terrorismus“ genannt wurde. Genauso wenig wie, dass hier in den letzten Jahren israelische Soldaten über 500 Palästinenser ermordeten, die letzten beiden vergangenes Wochenende. In Nablus hab ich stattdessen nun endlich das Gefühl in einem arabischen Land zu sein. Nicht in einer von Israel geduldeten Enklave, nicht in einer europäisierten Ansammlung von NGOs, sondern in einer fast typisch orientalischen Stadt. Endlich mal wieder enge staubige Gassen, anstatt zweispuriger Straßen. Endlich laufe ich wieder durch einen Suq, auch wenn dieser zugegebenermaßen nicht besonders eindrucksvoll ist. Zum ersten Mal sehe ich in Palästina alte Männer am Straßenrand sitzen und Backgammon spielen. Und so fügen wir uns diesem arabischen Lebensgefühl und verbringen den Rest des Tages plaudernd und Argile rauchend in einem versteckten Cafe mit Ausblick auf die Dächer der Altstadt.

 Ein vorletztes Mal die Hand raushaltend, fahren wir schließlich wieder Richtung zu Hause, bzw. Huwwara. Und da wir nun nicht mehr in die Enklave hinein sondern aus ihr heraus wollen, entstammt letztendlich der nachhaltigste Eindruck von Nablus etwas, was eigentlich nicht Teil dieser Stadt sein sollte. Während wir uns also in die Masse der wartenden Menschen einreihen und sich so langsam zeigt, wie erniedrigend es sein muss diese Prozedur jeden Tag zu durchlaufen, wird mir klar, dass der Begriff „Checkpoint“ eigentlich ein ziemlicher Euphemismus ist. Als ob es hier darum ginge Leute zu kontrollieren, als ob ein Blick auf die ID-Card darüber Aufschluss geben würde, ob jemand vor hat sich morgen in Tel Aviv in die Luft zu sprengen. Welchen Vorteil für Israels Sicherheit hat es 20 Schekel von jedem zu kassieren, der sein Auto mit auf die andere Seite nehmen möchte? Welchen Vorteil bringt es, für tausende Palästinenser täglich einen einzigen Durchgang zu öffnen an dem ein einzelnes 20-jähriges Mädchen mit der Passkontrolle beauftragt ist, während 10 weitere Soldaten aus Jeeps und von Wachtürmen ihre Maschinengewehre auf die Wartenden richten? Und welchen Vorteil hat es Menschen durch Gitterverschläge und Stacheldraht umzäunte Gänge zu schicken, wo sie dann so lange warten müssen, bis sie irgendwann gnädigerweise zur Leibesvisitation heran gerufen werden? Zur Erinnerung, wir sind hier mitten in der Westbank, mitten in dem was einmal ein palästinensischer Staat werden sollte, fernab von jeder israelischen Stadt und vor allem fernab der grünen Linie.

 

Huwwara ist weniger ein Kontrollpunkt, als vielmehr eine menschliche Viehzuchtanlage, gebaut in der Hoffnung, dass mit jeder Drehtür die die Menschen aufrecht durchschreiten, sie etwas krummbuckeliger wieder heraus kommen, um schließlich dem Idealtyp des unterwürfigen Palästinensers zu entsprechen, der mit einem freundlichen Schalom bedingungslos in seine Unterdrückung einwilligt. Huwwara gibt jedem der hier tagtäglich durch muss zu verstehen, dass es nicht du bist, der dein Leben gestaltet, sonder Israel. Mit einem einfachen „lo“ wird jede Abschlussklausur, jede Hochzeit, jede rettende Krankenwagenfahrt oder einfach der Weg zur Arbeit hinfällig. Das größte Problem für die al-Najah Universität, so sagte Prof. soundso, seien nicht die Finanzen, die Hamas oder zu wenig Dozenten, sondern dass 9000 Studenten regelmäßig, vom Willen israelischer Soldaten, an einem der 4 Checkpoints, die Nablus von allen Seiten abriegeln, abhängig sind. Ein paar hundert Meter Gitterzaun und Stacheldraht, sowie ein paar Dutzend israelische Soldaten sorgen mit dafür, dass in dieser Stadt, die einst „Klein-Damaskus“ genannt wurde und eines der wichtigsten Industriezentren der Region war, nun mehr als 50% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben.

Nach relativ schnellen 40 Minuten haben wir dann schließlich alle Drehtüren, Metalldetektoren und Taschenkontrollen passiert und richten ein letztes mal die rechte Hand zum Boden, setzen uns in einen gelben Minibus und verlassen die Nablus-Enklave Richtung Ramallah. Wieder geht’s auf und ab entlang holpriger Straßen vorbei an alten Autowerkstätten und bewegungslos dastehenden verlassenen Eseln. Auf den Feldern sitzen, den Kopf in ein Palituch eingewickelt, die letzte paar Bauern, während am Straßenrand eine Junge gesalzene Mandeln verkauft. So fahren wir, wieder den Kopf in den Wind haltend, durch diese friedliche Landschaft. Vor uns geht langsam die Sonne unter und selbst die sonst so störenden Siedlungen sind in der Dämmerungen kaum noch als solche zu erkennen. Eigentlich ist es kaum zu glauben wie schön dieses Palästina sein könnte, wenn es einfach nur Palästina wäre.
Doch stattdessen liegt ein paar Kurven vor uns der nächste Checkpoint – der nach Bir Zeit….