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Wo sind die Selbstmordattentäter?

 

Amira Hass, Dezember 2007  ( aus dem Hebr. George Malent)   (www.kibush.co.il/show_file.asp?num=23929)

 

Mitte November wurde eine neue Methode, Palästinenser nach Israel zu „schmuggeln“  bekannt: im nördlichen Jordantal versuchten zwei – wie Polizeiwagen ausschauende -  Wagen aus Ost-Jerusalem zwei Palästinenser ohne Genehmigung über den Bezek-Übergang zu transportieren. In derselben Woche kam ein privater Schmuggelversuch aus der Westbank nach Israel ans Licht: eine Frau transportierte eine versteckte Person in ihrem Wagen; durch ihr Verhalten weckte sie bei den Soldaten am Kontrollpunkt Verdacht . Dies wurde so beiläufig im Radio als Kuriosum  berichtet. Keine der beiden Vorfälle stellte eine Gefahr für die Sicherheit dar. Es waren nur Versuche von arbeitslosen Leuten, um in Israel zu arbeiten. Wahrscheinlich gibt es Hunderte solcher Versuche jeden Monat von Arbeitslosen, die beim  „Infiltrieren“ nach Israel – bei der verzweifelten Suche nach einem Lebensunterhalt für ihre Kinder -  nicht entdeckt wurden. Man sollte noch hinzufügen: sie gefährden sich dabei selbst heldenhaft.

 

Die Entdeckung, dass irgendwo die „Trennungsmauer“ umgangen wird, lässt in israelischen Ohren sofort Alarmglocken läuten. Wenn Arbeitern solche Wege bekannt sind, dann sind sie wahrscheinlich auch solchen Organisationen, die Selbstmordattentäter  unterstützen, bekannt. Dass solche Wege bis jetzt noch nicht von Selbstmordattentätern benützt wurden,  hat man dies nur der Tätigkeit des Shin Bet (Isr. Geheimdienst und Sicherheitspolizei) zu verdanken? oder ist es – hauptsächlich - dank der Tatsachen, dass die verschiedenen Organisationen  ihre Methoden verändert haben? Oder könnte es noch einen anderen Grund haben : dass es Organisationen und  Splittergruppen von diesen gibt, die wahrscheinlich nach Kandidaten für Selbstmorde schauen. Doch ist heute im Gegensatz zur Vergangenheit die Stimmung zur Unterstützung von Selbstmordangriffen – durch den Wunsch nach Rache für so viele von der IDF getötete Zivilisten  motiviert -  nicht  verbreitet.

 

Unter einigen sogenannten Radikalen galt das Klischee, dass Armeeangriffe, in denen palästinensische Zivilisten (tödlich) getroffen worden waren   - die  nur als Routinevorfälle unterhalb  des israelischen Radar geschahen – immer den „nächsten Selbstmordattentäter“ nach sich zogen. Die Wahrheit ist, dass fast jeder Palästinenser viele Gründe hat, das Leben  einfach satt zu haben – bis zu Rachegedanken und bis zum Punkt eines Selbstmordes . Und solche Gedanken sind nicht nur mit militärischen Attacken verbunden. Auch ohne Mord tötet das israelische Besatzungsregime : die Hoffnung, die Pläne, Beziehungen, Lebensweisen.. Wenn man unter Palästinensern lebt, erfährt man die täglichen Beispiele von Tausenden von Nuancen, die die Verzweiflung hat; genauso wie das Besatzungs- und Kolonisierungsregime Tausende verschiedener  physischer und psychischer Gewaltanwendungen mit sich bringt. Jeden Augenblick trauern Menschen um ein Leben, das sie haben könnten aber nicht haben. Die tägliche Kränkung, die Leute unter einem ausländischen Regime erfahren, ist einfach psychisch schwer belastend:  dieses Regime entscheidet, wer in seinem eigenen Haus leben darf oder nicht; wer  Zugang  zu seinem eigenen Land haben darf oder nicht; wann der Bulldozer das Land der Großeltern aufreißt, um es einer Schnellstraße oder  einer grünen Siedlung  anzuschließen; ein Regime, das entscheidet,  wer wie viele Stunden am Kontrollpunkt  warten muss; wer  seine Kinder zur Universität senden kann oder zum Betteln schicken muss; wer die Quelle seines Lebensunterhaltes verliert; wer seine Familie wiedersieht und wann und wer nicht. Diejenigen, die von Almosen abhängen, leiden sehr unter der Demütigung. Zu diesem allem muss natürlich  noch die anhaltende Schmach einer enttäuschenden und  versagenden palästinensischen Führung und die Hoffnungslosigkeit hinzugefügt werden, dass diese nicht in der Lage ist, eine Änderung herbeizuführen.

 

Die  unausweichliche Schlussfolgerung  ist die: nicht jeder israelische Angriff bringt wahrscheinlich den nächsten Selbstmordattentäter hervor. Man sollte umgekehrt fragen: wie ist es möglich, dass trotz allem, nicht mehr Jugendliche  in der Vergangenheit den Weg des Selbstmords gewählt haben? Wie kommt es, dass die Leute heute  keinen Selbstmord begehen? Es gibt noch einen Ausweg: viele Leute hoffen, weggehen zu können - das sagen uns Meinungsumfragen. Aber der Schein trügt ( But appearances are always bigger than reality).

 

Das Festhalten an ihrem harten Leben ist für diese Menschen mehr als nur ein Überlebensinstinkt oder eine versäumte Option. Es ist eine anhaltende Lektion für jene Israelis, die offen oder verdeckt den „Transfer“ planen : die Mehrheit der Palästinenser weiß, dass Unterdrückerregime kommen und (ver)gehen – aber sie werden auf ihrem Land bleiben. Ganz bewusst.

 

(dt. Ellen Rohlfs)