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Wenn die Armee an die Tür klopft

 

Amira Hass, 15.11.07 

 

Umm Zuhir erinnert sich vor allem daran, was die Soldaten zu ihr sagten: „Halt den Mund! Sei still!“ Sie hatte wiederholt darum gebeten, die Fenster in ihrem kleinen Haus ein wenig zu öffnen: „Ich bin krank – hast du nicht auch eine Mutter. Ich ersticke,“ sagte sie. Und sie antworteten: „Sei still!“ oder antworteten gar nicht. Es muss allerdings erwähnt werden, dass sie nichts gestohlen haben.

 

Am 23. September besetzten 10 Soldaten ihr Haus, 12 Stunden lang. Dieses Haus liegt an der Hauptstraße des Dorfes Deir Istya, südwestlich von Nablus. Es war an einem Sonntag während des Ramadan. Um 3 Uhr nachts hörte ihr Sohn Saeb Qader ein Klopfen an der Seitentür. „Öffne die Tür, hier ist die Armee, Durchsuchung.“ Er und seine Frau waren schon wach für die Vorfastenmahlzeit. Die vier Kinder schliefen, auch seine Schwester und seine Mutter in der unteren Wohnung. Qader, 50, Schulrektor, ging nach unten und öffnete die Tür, hinter der sich eine Menge Soldaten. befanden. Später wurde ihm bewusst, wie jung sie waren; sie müssen erst vor kurzem ihr Abitur gemacht haben.

 

„Ein Soldat gab mir den Befehl, mein Hemd hoch zu heben, kein Wort zu sagen und die Familie nach unten zu bringen. Die Kinder fürchteten sich. Ich sagte zu ihnen, es sei die Armee und dass sie runter kommen müssten. Danach begleitete ich die Soldaten, als sie alle schränke im Haus öffneten. Die Soldaten sagten mir: „wenn da noch jemand ist außer denen, die nach unten kamen, werden wir ihn erschießen.“ Sie schlossen alle Fenster und zogen die Vorhänge zu. Über zwei Fenster ohne Vorhänge nagelten sie dunkle Decken an die Wand. Sie baten Qader um einen Hammer.

Qader sagte, sie sahen aus, als hätten sie Erfahrungen im Besetzen eines Hauses. Sie ließen uns im Wohnzimmer hinsetzen und 2 Soldaten bewachten uns, mich und meine Frau und die 4 Kinder. Sie richteten die ganze Zeit ihre Schusswaffen auf uns.

 

Medien

 

Alle paar Tage erscheint in der palästinensischen Presse ein lakonischer  Bericht über ein besetztes Haus. In den israelischen Medien gibt es nicht mal eine Erwähnung davon. Die Bewohner dieser Häuser und ihrer Nachbarn leiden noch lange Zeit an dem Trauma und der Demütigung, dass ihr Schlaf- und Badezimmer verwüstet wurden.

 

„Es ist dir nicht erlaubt aufzustehen, du darfst nicht rausgehen. Du darfst nur zur  Toilette, wenn es dir erlaubt wird.“ So wurde der Qaderfamilie gesagt. Zwei andere Soldaten bewachten die alte Mutter und ihre Tochter in der unteren Wohnung mit gezückter Waffe. „Sie wollten, dass ich aus dem Bett komme, doch ich kann nicht, ich kann kaum stehen,“ sagte die Frau. Sie ist im Kopf klar, hat aber zittrige Hände und sie ist zu schwach, um aufzustehen. Sie sitzt dort mit gekreuzten Beinen und mit einer Decke zugedeckt, obwohl es Sommer ist.

 

Ein Soldat wollte das Bett untersuchen und unter die Matratze schauen. „Denkt ihr ich sitze auf einer Handgranate?“ protestiert sie. Die mit ihr lebende Tochter sagte, ihre Mutter  sei sehr ängstlich. Die Mutter aber sagte: „Die Soldaten sahen zum Fürchten aus. Wir boten ihnen Tee oder Kaffee an, aber sie wollten nicht. Sie wollten nicht einmal Wasser trinken. Sie sprangen bei jedem leisesten Geräusch hoch. Erst nach 8 Stunden erlaubten sie dem Sohn, dass seine Familie zu seiner Mutter und Schwester durften. Sie brachten der Mutter auch einen Fächer runter.

Was sah Qader von dem, was die Soldaten machten: sie waren mit einem großen Funkgerät beschäftigt, das sie im Zimmer installierten, einige schliefen wo immer sie einen Platz fanden, einige liefen umher. Sie hatten sich ihr Essen mitgebracht. „Sie machten so, als wären sie hier zu Hause – es muss aber bemerkt werden, sie machten nichts kaputt und machten das Haus auch nicht schmutzig“, sagte er. Einer der Soldaten, der sie bewachte, zeigte auf den jüngsten Sohn und sprach in einem Gemisch von Hebräisch und Arabisch: „Wie heißt der kleine Junge?“ „Rifat“, antwortet der Vater, „und du?“ „Yaron“.

Um 14.00 Uhr kamen einige besorgte Bewohner des Ortes, auch der Ortsvorsteher und Nachbarn und Verwandte, um nachzusehen, warum der Schuldirektor und seine Frau, die Lehrerin nicht zur Arbeit gekommen waren. Denn das erste, was die Soldaten weggenommen hatten, als sie gekommen waren, waren die Handys. Sie unterbrachen auch die Telefonleitung.

 

Die Gäste klopften an die Tür. Die Soldaten waren irgendwie erschrocken von der unerwarteten Wendung der Ereignisse. Sie wollten, dass Qader die Tür öffnet. Sie kamen und fragten mich, was geschehen ist, erklärte Qader den Soldaten und sie erlaubten den beiden Verwandten rein zu kommen und wie die anderen Gefangen zu werden. Einer der Verwandten verstand Hebräisch. Er hörte wie einer der Soldaten ins Funkgerät sagte : „Wir sind entdeckt worden“. Der Kommandeur sagte zu ihm: „Macht fertig, was getan werden muss“. Um 3 Uhr gingen sie. Der Kommandeur bat Qader noch, nachzusehen, ob auch nichts beschädigt worden ist. Man befahl ihnen dann noch, erst dann aus dem Haus zu gehen, wenn die Soldaten weit weg sind. Nach dem Verhalten der Soldaten zu schließen, ging es ihnen anscheinend darum, das Gelände zu  erkunden.

 

Die Armee sagte, es gäbe keinen Bericht über eine Hausdurchsuchung oder andere geplante Aktivitäten an jenem Tag und antwortete auf eine Frage von Haaretz nicht, warum das Haus besetzt worden sei.

 

Die Umgebung von Wadi Kana – sanfte grüne Hügel – können leicht von dem Haus beobachtet werden, auch die Straße, die verschiedene Siedlungen verbindet (Emanuel, Yakir, Nofim und Revava). Ein Teil des Landbesitzes des Dorfes war im Laufe der Jahre enteignet worden, um Siedlungen zu bauen, die wie ein C rund um Deir Istiya liegen. Land wurde auch für Straßen konfisziert und eine Militärbasis über Yakir. Zu 500 ha Dorfland können die Bewohner nicht gelangen. Den Westen versperrt ihnen die Siedlung Nofim. Von ihren einst 3600 ha Land sind ihnen nur noch 1000 ha geblieben.

Wenn die Leute früh aufwachen und aus dem Fenster sehen, sehen sie auf das ihnen gestohlene Land, sagt Abu Abdullah, Bewohner des Dorfes und Mitglied von der Volkspartei ( früher die paläst. Kommunistische Partei). Die Landenteignung ist nicht etwas, das man so schnell vergisst. Es ist keine einmalige Gewaltanwendung. Jeden Tag erleben wir diese Gewalt.

 

Das Betreten des Hauses von Salman in Deir Istya am 1. Oktober war anders: mitten in der Nacht hörte die Familie, wie Steine an die Stahltür geworfen wurden. Zehn bis 12 Steine. Einer war besonders groß. Danach kam eine Blendgranate, die an der Hauswand explodierte und einen tiefen Riss hinterließ. Irgendjemand schrie, man möchte die Tür öffnen. Der Vater der Familie, Taleb Salman öffnete sie. Er sah Soldaten mit geschwärzten Gesichtern. Sie verlangten von mir, dass meine Kinder runterkommen. „Sei Still!“ schrie einer ständig. Der einzige der herumschrie war der Offizier. „Du bist ein Offizier und verstehst nicht. Hast du keine Kinder?“ fragte ich ihn. Schließlich hatte ich doch die Tür geöffnet – warum so schreien?“ Ein anderer Soldat sagte zum Offizier: „Der Vater ist wie der Sohn – also nehmen wir beide mit.“

 

Der Sohn Hamadan, 19, wurde sofort von seinen Brüdern getrennt. Die Soldaten verbanden ihm die Augen und fesselten seine Hände hinter dem Rücken. Sie lehnten  die Bitte der Familie ab, ihm noch Kleidung zu bringen. Der Vater hielt ihn fest, während seine Frau ihm noch Hausschuhe brachte. Die Soldaten hatten geplant, das Haus zu durchsuchen. Ich bat darum, sie zu begleiten, weil Geld im Haus war, damit es nicht gestohlen wird. Ich fürchtete auch, dass sie irgend etwas Schlimmes machen würden. Doch er durfte sie nicht begleiten. Ich begann zu schreien. Dann fielen sie über das Haus her, zerstörten Schranktüren, ein Bett, Möbel, zerbrachen Scheiben von mehreren Schränken und Türen.“ sagte Salman. Der IDF Sprecher sagte, die Klagen würden überprüft, aber nach einem anfänglichen Verhör sei die durchgeführte Verhaftung entsprechend den Vorgaben durchgeführt worden.

Eine halbe Stunde später verließen die Soldaten das Haus mit dem einen Sohn. Nachbarn, die von ihren Fenstern aus beobachteten schrieen zu den Soldaten, sie sollen Hamadan nicht stoßen, er könne doch nichts sehen.

In derselben Nacht wurden noch zwei andere junge Männer des Dorfes verhaftet.

 

Im Oktober verhaftete die Armee 359 Palästinenser in der Westbank. Einige wegen des Verdachts, kriminelle Taten begangen zu haben, andere waren gesucht und wieder andere zu einem Verhör.  …Das Komitee gegen Folter hatte im August dem Obersten Gerichtshof eine Petition vorgelegt über die schlechten sanitären Verhältnisse in der Haftanstalt Hawara, wo Hamadan zunächst hingebracht worden  war. Am 22. Oktober veröffentlichte der Oberste Gerichtshof eine einstweilige Verfügung, die den Verhafteten den freien Zugang zu den Toiletten erlaubte und bestimmte, dass bis Ende Dezember zusätzliche Toiletten gebaut werden.  ….

 

Während der letzten Monate beklagten sich die Dorfbewohner über ständige Schikanen durch die Armee. Jeeps rasten durch die Dorfstraßen, erschreckten die Kinder, ärgerten die Erwachsenen. Manchmal erzwangen die Soldaten die Schließung von Läden, setzten Straßensperren vor den Eingang des Dorfes, Leute wurden auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle  oder zu ihrem Land verhaftet. Das sind Routinevorfälle in der ganzen Westbank und keiner  berichtet mehr darüber. Sie werden sogar in den palästinensischen Medien kaum berichtet. „Als ob wir uns daran gewöhnt hätten,“ sagt Abu Abdullah, „ aber so kommt Zorn zu Zorn, wie Ziegel auf Ziegel.

 

(dt. und geringfügig gekürzt: Ellen Rohlfs)