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Der Holocaust  als politischer Aktivposten

 

Amira Hass, 18.4.07

 

Der Zynismus, der der Einstellung von Institutionen des jüdischen Staates gegenüber  Holocaustüberlebenden  innewohnt, ist nichts Neues für deren Nachkommen und die mit ihnen leben. Wir wuchsen damit auf, dass es einen riesigen Unterschied gab zwischen der Darstellung des Staates Israel als dem Ort der Wiedergeburt des jüdischen Volkes und dem Gefühl der Leere, das für jeden Holocaustüberlebenden und seine  Familie existierte. Die persönliche „Rehabilitierung“ war von den Umständen des einzelnen abhängig: die Stärkeren gegen die anderen, die keine Unterstützung von den Institutionen des Staates erhielten. Während der 50- und 60er Jahre erlebten wir  die erniedrigende Ansicht über unsere Eltern, da sie „wie Schafe zur Schlachtbank“ gegangen seien. Sie, die Diaspora-Verwandten waren die Schande des neuen Juden, der Sabras.

 

Man könnte behaupten, dass während der ersten beiden Jahrzehnte diese Haltung mit dem Mangel an Information und  mit der Unfähigkeit, das ganze Geschehen des von Deutschen begangenen industrialisierten Genozids zu begreifen, zusammenhing. Doch das Wissen um die materiellen Aspekte des Holocausts tauchte schon sehr zeitig- in den 40ern - auf, wobei es  von Seiten jüdischer und zionistischer Institutionen  darum ging, die Möglichkeiten über  die Forderung von  Wiedergutmachung auszuloten. 1952 wurde das Abkommen über Wiedergutmachung mit Deutschland unterzeichnet, indem man übereinkam, Hundert Millionen Dollar an Israel  zu zahlen, um für die Aufnahmekosten der Überlebenden und   ihre  Rehabilitation aufkommen zu können. Das Abkommen verpflichtete Deutschland auch,  die Überlebenden individuell zu entschädigen; doch die Deutschen unterschieden zwischen jenen, die zum „deutschen Kulturkreis“ gehörten und anderen . Diejenigen die beweisen konnten, dass sie zu dem „ deutschen Kreis“ gehören, erhielten höhere Summen, auch dann wenn sie noch rechtzeitig aus Deutschland emigrieren konnten. KZ-Überlebende von außerhalb dieses „Kreises“ erhielten die lächerliche Summe von 5.-DM pro Tag. Die israelischen Vertreter  ließen sich diese Fehlinterpretation gefallen.

 

Dies ist ein Teil der Wurzeln  des finanziellen Zynismus, der dank verschiedener Gründe heute von den Medien ausgeht: das fortgeschrittene Alter und der schlechte Gesundheitszustand der Überlebenden, die absichtliche Schwächung des Sozialstaates, die Präsenz der Überlebenden aus der früheren Sowjetunion, die nicht in das Abkommen des Wiedergutmachungsabkommens eingeschlossen sind, der Medienrummel von Wohlfahrts-NGO-Organisationen und die Begünstigung von Journalisten, die sich mit sozialen Angelegenheiten befassen.

 

Sie sind geschockt von dem großen Unterschied zwischen der offiziellen  Aneignung des Holocaust, wie er in Israel  begriffen und als  gerechtfertigt wahrgenommen wird - und den im Stich gelassenen Überlebenden.

 

Indem man den Holocaust in einen politischen Aktivposten verwandelt, dient er Israel in erster Linie in seinem Kampf gegen die Palästinenser. Wenn der Holocaust auf der einen Seite  zusammen mit den  berechtigten Schuldgefühlen des Westens  in der Waagschale liegt, so wird auf der andern Seite die Landenteignung des palästinensischen Volkes  von 1948  bagatellisiert  und  verschwommen  dargestellt..

 

Die Phrase „Sicherheit für  Juden“ ist zu einem exklusiven Synonym für „die Lektion aus dem Holocaust“ geworden. Dies ist es, was Israel erlaubt, seine arabischen Bürger systematisch zu diskriminieren. Seit 40 Jahren  war es die  „Sicherheit“, die die Kontrolle über die Westbank, den Gazastreifen  und von Personen rechtfertigt, die ihrer Rechte beraubt worden sind, neben jüdischen Bewohnern, israelischen Bürgern, zu leben, die dazu noch alle Privilegien genießen.

 

„Sicherheit“ dient der Schaffung eines Regimes der Trennung/ Apartheid und der Diskriminierung auf ethnischer Grundlage – auf israelische Art und Weise,  nämlich unter dem Schutz von „Friedensgesprächen“ , die auf  immer und ewig weitergehen. Indem Israel den Holocaust in einen Aktivposten verwandelt, erlaubt  es sich, alle Methoden des palästinensischen Kampfes  - auch die gewaltlosen – als  ein weiteres  Glied in der antisemitischen Kette darzustellen, deren Höhepunkt Auschwitz war.  Israel  gibt sich selbst die Lizenz für weitere Arten von Zäunen, Mauern und militärischen Wachtürmen rund um die palästinensische Enklaven.

 

Indem man den Genozid des jüdischen Volkes aus seinem historischen Kontext des Nationalsozialismus und von seinem Ziel des Mordes und der Unterwerfung nimmt und ihn von einer Reihe von andern Völkermorden trennt, die von den Weißen außerhalb Europas  begangen wurden, schafft man eine Hierarchie von Opfern, an deren Spitze wir (Juden) stehen. Holocaust und Antisemitismus-Forscher suchen nach Worten, wenn  der Staat in Hebron  ethnische Säuberung durch seine Agenten, die Siedler, betreibt, die Enklaven ignoriert und das Apartheidregime aufrichtet. Wer immer auch Israels Politik gegenüber den  Palästinensern kritisiert, wird als Antisemit denunziert, wenn nicht gar als Holocaustleugner. Da jede Kritik an Israel für unrechtmäßig erklärt wird, macht es dies  um so schwieriger,  unsinnige  Gleichungen zurückzuweisen, die zwischen der Nazi-Mordmaschine und dem israelischen Regime der Diskriminierung und Besatzung  gemacht werden.

 

Das institutionelle Im-Stich-lassen der  (Holocaust)-Überlebenden wird zurecht  überall  angeprangert.

 Die Umwandlung des Holocaust in einen politischen Aktivposten, um ihn im Kampf gegen die Palästinenser anzuwenden, nährt dagegen jene Magazine des offiziellen Zynismus – ja, sie  sind  ein Teil des Konsens.

 

(dt. Ellen Rohlfs)